[junge Welt] Begründung des russischen Vorgehens in der Ukraine
Auch wenn der Kriegsausbruch in der Ukraine scharf zu verurteilen ist, ist es doch wert, auf die Begründung Putins für diesen Schritt hinzuweisen. Die junge Welt hat Auszüge der Rede veröffentlicht. Aufgrund der Bedeutung der Argumente in dieser Rede (die in westlichen Medien meist nicht gebracht werden), wird nachfolgend ein Teile dieser Veröffentlichung hier nochmals wiedergegeben.
Der Beginn der Rede:
Es ist bekannt, dass wir [Russland ist gemeint] seit 30 Jahren hartnäckig und geduldig versuchen, mit den führenden NATO-Ländern eine Einigung über die Grundsätze der gleichen und unteilbaren Sicherheit in Europa zu erzielen. Als Antwort auf unsere Vorschläge sind wir immer wieder entweder auf zynische Täuschungen und Lügen oder auf Druck und Erpressungsversuche gestoßen, während sich das Nordatlantische Bündnis trotz all unserer Proteste und Bedenken immer weiter ausdehnt. Die
Kriegsmaschinerie ist in Bewegung und, ich wiederhole das, sie kommt sehr nahe an unsere Grenzen heran.
Warum geschieht das alles? Warum diese arrogante Haltung, von der Position ihrer eigenen Ausschließlichkeit, Unfehlbarkeit und davon, dass man alles tun darf, zu sprechen? Woher kommt diese gefühllose, ablehnende Haltung gegenüber unseren Interessen und absolut berechtigten Forderungen?
Die Antwort ist klar, verständlich und offensichtlich. Die Sowjetunion wurde Ende der 1980er Jahre schwächer und ist dann zusammengebrochen. Der gesamte Verlauf der damaligen Ereignisse ist eine gute Lektion für uns heute; das hat überzeugend gezeigt, dass die Lähmung der Regierung und des Willens der erste Schritt zu völliger Erniedrigung ist. Wir mussten nur eine Zeit lang unsere Selbstsicherheit verlieren, und schon war das Gleichgewicht der Kräfte in der Welt gestört.
Das hat dazu geführt, dass frühere Verträge und Abkommen de facto nicht mehr gelten. Überredungskünste und Bitten halfen nicht. Alles, was dem Hegemon, den Machthabern, nicht passt, wird für archaisch, veraltet und überflüssig erklärt. Und umgekehrt: Alles, was ihnen vorteilhaft erscheint, wird als ultimative Wahrheit dargestellt und um jeden Preis, rüde und mit allen Mitteln durchgesetzt. Andersdenkende werden in die Knie gezwungen. Ich spreche jetzt nicht nur über Russland und nicht nur über unsere Sorgen. Das betrifft das gesamte System der internationalen Beziehungen und manchmal sogar die US-Verbündeten selbst.
Nach dem Zusammenbruch der UdSSR begann faktisch eine Neuverteilung der Welt und die etablierten Normen des internationalen Rechts – die wichtigsten, grundlegenden Normen wurden am Ende des Zweiten Weltkriegs angenommen und festigten weitgehend dessen Ergebnisse – begannen, diejenigen zu behindern, die sich im Kalten Krieg zum Sieger erklärt haben.
Im praktischen Leben, in den internationalen Beziehungen, in den Regeln, die diese Beziehungen regeln, mussten die Veränderungen der Weltlage und der Kräfteverhältnisse selbst natürlich berücksichtigt werden. Das hätte jedoch professionell, reibungslos und geduldig geschehen müssen, unter Berücksichtigung und Respektierung der Interessen aller Länder und im Bewusstsein ihrer Verantwortung.
Aber nein, es war ein Zustand der Euphorie aus absoluter Überlegenheit, eine Art moderner Absolutismus, noch dazu vor dem Hintergrund des niedrigen Niveaus der allgemeinen Kultur und der Arroganz derjenigen, die nur für sie selbst vorteilhafte Entscheidungen vorbereitet, angenommen und durchgesetzt haben. Die Situation begann sich auf andere Weise zu entwickeln.
Man braucht nicht weit zu gehen, um Beispiele zu finden. Zuerst wurde die blutige Militäroperation
gegen Belgrad durchgeführt, ohne dass der UN-Sicherheitsrat dies genehmigt hätte. Mehrere Wochen andauernde Bombardierungen ziviler Städte und lebenswichtiger Infrastruktur. Ich muss an diese Tatsachen erinnern, weil einige westliche Kollegen sich nicht gerne an diese Ereignisse erinnern, und wenn wir darüber sprechen, ziehen sie es vor, nicht auf die Normen des Völkerrechts zu verweisen, sondern auf die Umstände, die sie nach ihrem Gutdünken interpretieren. Dann waren der Irak, Libyen und Syrien an der Reihe. Die unrechtmäßige Anwendung militärischer Gewalt gegen Libyen und die Umgehung aller Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats zur Libyenfrage führten zur völligen Zerstörung des Staates, schufen eine riesige Brutstätte des internationalen Terrorismus und stürzten das Land in eine humanitäre Katastrophe und einen langen Bürgerkrieg, der noch immer wütet. Die Tragödie, die Hunderttausende, ja Millionen von Menschen nicht nur in Libyen, sondern in der gesamten Region in den Tod riss, führte zu einer Massenflucht aus
Nordafrika und dem Nahen Osten nach Europa.
Ein ähnliches Schicksal war für Syrien vorgesehen. Das militärische Vorgehen der westlichen Koalition auf dem Territorium dieses Landes ohne die Zustimmung der syrischen Regierung und ohne die Erlaubnis des UN-Sicherheitsrates ist nichts anderes als eine Aggression, eine Intervention.
Einen besonderen Platz in dieser Reihe nimmt jedoch die Invasion des Irak ein, die natürlich ebenfalls ohne jede Rechtsgrundlage erfolgte. Der Vorwand war, dass die USA angeblich über zuverlässige Informationen über das Vorhandensein von Massenvernichtungswaffen im Irak verfügten. Zum Beweis schüttelte der US-Außenminister vor aller Welt ein Röhrchen mit weißem Pulver und versicherte, dass es sich dabei um die Chemiewaffe handelte, die im Irak entwickelt wurde. Und dann stellte sich heraus, dass das ein Schwindel, ein Bluff war: Es gab keine Chemiewaffen im Irak. das ist unglaublich, erstaunlich, aber es bleibt eine Tatsache. Es gab Lügen auf höchster staatlicher Ebene und von der hohen Tribüne der UNO. Das Ergebnis waren viele Opfer, Zerstörung und die unglaubliche Welle des Terrorismus.
Generell entsteht der Eindruck, dass praktisch überall, in vielen Regionen der Welt, wo der Westen
kommt, um seine Ordnung zu etablieren, blutige, nicht heilende Wunden, Wunden des internationalen Terrorismus und Extremismus zurückbleiben. Alles, was ich gesagt habe, sind die ungeheuerlichsten, aber bei weitem nicht die einzigen Beispiele für die Missachtung des Völkerrechts ( https://www.anti-spiegel.ru/2022/putins-komplette-rede-an-das-russische-volk-zum-beginn-der-militaeroperation/ )
Da der Linke von Anti-Spiegel inzwischen für den Browserzugriff als „problematisch“ gekennzeichnget wurde, verweise ich hier auf die Redeauszüge in der jungen Welt, welche (noch?) problemlos zugreifbar sind: https://www.jungewelt.de/artikel/421512.tv-ansprache-dokumentiert-ausz%C3%BCge-der-rede-des-russischen-pr%C3%A4sidenten-am-23-februar-zur-begr%C3%BCndung-des-ukraine-einsatzes.html.
Anm.: Das politische Versagen der EU in den letzten 30 Jahren zu einer europäischen Friedensregelung zu kommen, sei hier von mir noch extra angemerkt.
eine kleine ergänzung durch ein nicht ganz fanatisiertes österreichisches medium:
https://cms.falter.at/blogs/athurnher/2022/02/25/ukraine-vielleicht-erreicht-putin-was-er-verhindern-wollte/?ref=newsletter
Trackback by kurt strohmaier 25. Februar 2022 12:58