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DAKAR SENEGAL

Bloged in Diskussion by admin Sonntag Juni 26, 2011

Spontane Massenbewegung und Meuterei, die zur explosiven Lage führte, verhinderte eine Abänderung der Verfassung in Richtung Monarchie.

von Johann Schögler


Dakar, die Hauptstadt Senegals – im Februar war es Schauplatz des Weltsozialforums – erlebte Do. 23. Juni 2011seine größte Massendemonstration seit mehr als 10 Jahren.

Der seit 2000 amtierende Präsident Abdoulaye WADE, 85 Jahre, wollte hinsichtlich der im kommenden Jahr stattfindenden Präsidentschaftswahl die Verfassung durch einen Parlamentsbeschluss ( seine Partei die PDS parti démocratique sénégalais verfügt über 88% der Stimmen) dahingehend abändern lassen, dass für ein gewählt werden im ersten Wahlgang nicht 50,01% notwendig sind, sondern nur mehr 25%. Zugleich sollte mit dem Präsidenten auch der Vizepräsident mitgewählt werden, der den Präsidenten automatisch bei Rücktritt, endgültige Verhinderung, Ableben, ersetzen sollte. Das war kurzum eine maßgeschneiderte Nachfolge für seinen Sohn KarimWade, 42 Jahre, den er bereits mit 4 wichtigen Ministerämtern bekleidet hat. Präsident Wade, der nicht erst seit dem Weltsozialforum (WSF) umstritten ist – engagierte Frauen trugen bei der Eröffnungsdemo des WSF bereits Schilder mit – Wade hau ab! Ganz nach dem Modell der tunesischen und ägyptischen Aufstandsbewegungen.

Der Druck der Straße, eine Massenbewegung und aufgrund der Auseinandersetzung mit den

Repressionskräften ein zur Stadtguerilla entwickelter Aufstand – 100 Demonstranten und 13 Polizisten waren verletzt worden – gegen die am Do. vorgesehene Abstimmung des betreffenden Gesetzesentwurfes, war ein voller Erfolg, denn der Präsident sah sich gezwungen diese Verfassungsabänderung zurück zu ziehen. Sonst wäre nicht nur Dakar im Aufruhr gewesen, sondern am nächsten Tag das ganze Land, zumal es gleichzeitig mit Dakar in anderen Städten des Landes ebenso Demos gab, die gewaltsam aufgelöst worden waren, wie in Koalak.

Bei einer überfüllten Versammlung der APO, sie nennt sich „ Generalversammlung der konstitutiven Bewegung“ am Tag vor dem Protesttag im Saal Daniel Brothier im Zentrum von Dakar meinte Alioune Tine (Sekretär des afrikanischen Treffpunkts zur Verteidigung der Menschenrechte): „ die Legitimität ist nicht mehr im Parlament, sondern von jetzt an auf der Straße; der Souverän ist nicht mehr das Parlament, sondern ab nun die Straße“. Ein ehemaliger Offizier richtete an der Generalstab der Armee einen Appell, er möge in dieser Situation des demokratischen Rückschritts seine Verantwortung übernehmen. Auch an die Gendarmerie ergingen ähnliche Appelle.

EXPLOSIVE STIMMUNG innerhalb kürzester Zeit

Vor allem die Jugendlichen der Außerparlamentarischen Opposition (APO) und der Zivilgesellschaft waren zur genehmigten Demo vor dem Parlament den Aufrufen gefolgt.

Spontan war die Stärke der Teilnahme und die Entschlossenheit der Demonstrierenden mit allen Mitteln diese Verfassungsänderung zu verhindern.

Die schwer bewaffnete Polizei versuchte mit Tränengasgranaten die wütenden mit Steinen auf das Tränengas antwortenden Jugendlichen am Zugang zum Soweto-Platz vor dem Parlament zu hindern und versuchte sie in einen Trichter einzukreisen. Rufe wie: „raus,

raus, reiht euch ein, man stirbt nur einmal“ taten ihre Wirkung, denn Verstärkung kam von verschiedenen Seiten. Die AktivistInnen der Bewegung „ die Schnauze voll“ setzen in der zentralen Avenue Georges Pompidou, (Ponty von den Einheimischen genannt) Reifen in Brand, besetzen und sperren zentrale Kreuzungen mit Barrikaden und in der Zwischenzeit sind massiv die StudentInnen auch mit dabei und die Auseinandersetzungen spielen sich direkt vor dem Parlament ab, wo der Platz verwüstet wird, die Absperrungen durchbrochen werden und versucht wird eine neben liegende Tankstelle in Flammen aufgehen zu lassen. An gewissen Stellen dauerten die Auseinandersetzungen bis zu 5 Stunden; Autos werden in Brand gesteckt. Das Hotel der Abgeordneten wird angegriffen.

Zielscheibe ist auch die öffentliche Fernsehstation, die ausgebrannt wird; Ministerialgebäude, ein Agro-Industrieller Block, eine Versicherung; und vor allem das Haus des Propagandachefs der PDS Farba Senghor. Eine Demonstrantengruppe griff die sich schützend vor das Haus stellende Jugendorganisation der PDS an. Diese antwortete mit scharfer Munition. Erst nach einer Stunde konnte die Polizei anrücken, wurde aber von den Demonstranten, die auch Barrikaden aus Steinen errichteten, zurückgedrängt und erst nach 4 Stunden Auseinandersetzungen wurde die Polizei, die mit großer Verstärkung wieder angerückt war, Herr der Lage.

Begonnen hatten die Proteste bereits am Vormittag vor der Universität Avenue Cheikh Anta-Diop, wo ein großes Feuer auf der Straße entfacht worden war. Die Polizei griff gleich hart ein.

Danach strömten die Jugendlichen aus der Médina (sehr eng bewohntes Hochplateau, eine Art Vorort mit tausenden kleinen Läden, Reparaturwerkstätten,Verkaufsständen und Behausungen einfachster Art) hervor und nehmen entschieden die Auseinandersetzungen mit der Polizei auf, da sie sie hindern wollte in Richtung Zentrum zu ziehen.

Zu den häufigsten Losungen gehörten:

die Auflösung der Regierung und des Parlaments. Wade hau ab. Wade Mörder der Verfassung. Diese Reform wird nicht durchgehen. Wir wollen diese inkompetente Regierung nicht mehr.

Schilder mit Bedrohungsaufschriften gegen Abgeordnete, die für die Abänderung stimmen würden, wurden auch mitgetragen.

Im Parlament musste schließlich der Parlamentspräsident den ParlamentarierInnen mitteilen: „Wir sind nicht mehr in Sicherheit“. Seine zweite Meldung hingegen : Präsident Wade hat beschlossen den Gesetzesentwurf auf Anraten „religiöser Führer „ (was nicht sein soll darf nicht sein) zurückzuziehen, stößt nicht nur bei der kleinen Opposition auf Genugtuung – keiner von ihnen solidarisierte sich jedoch mit der demonstrierenden Opposition – sondern ebenso bei den Abgeordneten der Mehrheitspartei, da sie fürchten mussten, dass ihre Häuser in Brand gesteckt würden und am kommenden Tag es im ganzen Land Proteste geben würde, falls sie wie vorgesehen für diesen Gesetzesentwurf hätten stimmen müssen.

Die Polizei setzte das erste Mal neue Wasserwerfer mit heißem Wasser gegen die Demonstranten ein.

Auch am Tag nach den Auseinandersetzungen wird vor allem das Innenministerium damit geschützt.

Der Straßenverkäufer Assane meinte am Tag nach den Auseinandersetzungen: „ die Jugend hat gezeigt, dass nichts mehr ohne sie im Senegal möglich ist. Die Nationalversammlung sollte aufgelöst werden, denn die Abgeordneten waren bereit für diese Verfassungsänderung zu stimmen.“

(Walf Fadjri 25.6.)

Die BewohnerInnen Senegals haben noch die lobenden Worte ihres Präsident in den Ohren, der am 19. März 2011 bei eine öffentlichen Ansprache erklärt hatte, wie vorbildlich demokratisch es im Senegal sei und dass er keine Versammlungen mit Tränengas auflösen werde. Ja, jede Demo sei nur zu melden und sei automatisch genehmigt. Das scheint wohl das Einzige zu sein, was stimmt.

Johann Schögler 26. 6. 2011

 

Quellen:
Tageszeitungen Senegals vom 23. ; 24. u. 25. 6. 11
Sénégal Tribune
Journal LeSoleil
Walf Fadjri

La Gazette
Le Quotidien

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