Frankreich: WIDERSTANDSBEWEGUNG VOR ENTSCHEIDENDER WOCHE
HART AUF HART
Der Monatsrhythmus der Aktionstage gegen die Pensions-kürzungs- reform der konservativen Sarkosy-Regierung ( siehe Artikel vom 3. Okt. http://www.linkestmk.at/?p=690#more-690 ) wurde bereits zu einem Wochenrhythmus beschleunigt.
Zwar gab es am Sa. den 16. Oktober annähernd gleich viele DemonstrantInnen ( 3 Millionen, nach Angaben der Gewerkschaften; 1 Million laut Regierungsseite) wie am Sa. 2. Oktober. Mit 15% mehr TeilnehmerInnen war der bisherige Höhepunkt der Mobilisierungen der Di. 12. Oktober.
Und der bevorstehende Aktionstag der Di. 19. Oktober wird sich daran messen müssen.
Die Mobilisierungsbereitschaft bleibt sehr hoch, denn es gab am 16. Okt. Demonstrationen in 260 Orten in ganz Frankreich. Diesmal gab es eine größere Anzahl von SchülerInnen und StudentInnen – die im Laufe der Woche bereits zahlreiche Blockaden und Demonstrationen durchgeführt hatten – und vor allem mehr Beschäftigte aus dem Privatsektor, in dem es viel schwieriger ist zu streiken, als im Öffentlichen Dienst.
Die Rufe nach einem Generalstreik; Aufforderungen zum Durchhalten; einen weiteren Zahn in der Mobilisierung zuzulegen; den Widerstand zu verschärfen; das Land bzw. die Wirtschaft zu blockieren, nicht nur das Pensionsgesetz zu Fall zu bringen, sondern die ganze Regierung, zeugen von einer Radikalisierung der Bewegung; weiter machen, auch wenn das Gesetz verabschiedet ist; wir brauchen einen neuen Mai 68; …
DER WIDERSTAND GEHT UNS ALLE AN
Neben den leichter zu unterdrückenden Mobilisierungen in Griechenland ist Frankreich das erste Land in der EU, in dem es eine anhaltend aufsteigende Mobilisierung gegen die Absicht der herrschenden Klasse, die kapitalistische Krise auf den Rücken der Bevölkerung abzuwälzen, gibt. Der Aktionstag des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) vom 29. September war mehr eine Alibi-Aktion ohne weiterreichende Absichten. Ein bisschen Dampf ablassen war angesagt.
Alle fortschrittlichen Gewerkschaftsfraktionen und sozialen Bewegungen in Europa sollten überlegen, wie sie diese Bewegung in Frankreich unterstützen können, bzw. wie sie auf den Plan treten können, wenn z. B. ausländische Frächter herangezogen werden, um gegen die Benzinknappheit in Frankreich zu Streikbrechern zu werden. Die griechische Widerstandsbewegung wurde medial in Europa diskredidiert ( die sollen lieber arbeiten und nicht unser Geld verbrauchen;..) und ähnliches könnte auch mit dem Widerstand in Frankreich geschehen.( die wollen eh nur bis 60 Arbeiten und wir müssen schon ….) Hier eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen wäre Aufgabe der Gewerkschafts- und sozialen Bewegungen in den einzelnen Ländern. In Portugal haben alle Gewerkschaften für den 24. November zu einem Generalstreik aufgerufen. Ein Schritt zu einer Synchronisierung des zersplitterten europäischen Widerstands wäre eine wichtige Aufgabe der nationalen Bewegungen – sich europaweit zu vernetzen – um über die Landesgrenzen hinaus zu schauen und so an Einfluss zu gewinnen. Die Aussage: „ Allein werden wir fallen, gemeinsam können wir siegen“ trifft nur all zu gut auf diese Situation zu.
Die Androhung des EU-Kommissionspräsidenten Barroso,:“ Schaut, wenn sie( Griechenland, Spanien, Portugal) nicht diese Sparpakete ausführen, könnten diese Länder tatsächlich in der Art, wie wir sie als Demokratien kennen,verschwinden. Sie haben keine Wahl. So ist es“. ( am 11. Juni gegenüber Gewerkschaftsvertretern) ;im Klartext heißt das: man könne auch Militär einsetzen, wenn die Bevölkerungen den Sparkurs nicht akzeptieren wollten. Dies zeugt davon, dass die andere Seite mit heftigem Widerstand rechnet und sich vorbereitet diesen niederzuschlagen.
DAS ÖL, DAS SCHMIERMITTEL DES KAPITALISMUS
Ohne diesen Treibstoff steht die Wirtschaft und das ganze System still. So soll die Unternehmerschaft Medef und ihr Vertreter im Elysée-Palast Nicolas Sarkozy gezwungen werden auf den Druck der Straße zu hören, das Gesetz zurückzunehmen, alle Gewerkschaftsfraktionen einzuladen und über Umverteilungsmechanismen zu einer anderen Form der Finanzierung des Pensionsumlageverfahrens zu kommen.
Deshalb ist eine der wichtigsten strategischen Aktionen des Widerstands gegen die Pensions-kürzungs-reform das Gelingen
der Blockade der Öldepots; das Abstellen der 12 Raffinerien in ganz Frankreich bzw. die Verhinderung der Nachlieferung der Rohöls an den zentralen Häfen in Le Havre und Marseille.
Im Regierungspalast in Paris gibt es jeden Abend um 18 Uhr eine geheime KRISENSITZUNG, in der der in der Öffentlichkeit sehr scheu gewordene Monarch seine Befehle ausgibt. Die da lauten: hart bleiben; die Reform schneller durchziehen, weiter demonstrieren lassen bis alles im Sand verläuft; vorerst Achtung vor zu großer Polizeigewalt; vor allem die Nahrungszufuhr des Kapitalismus – das Öl – nicht unterbrechen zu lassen. Und die Exekutive schreitet bereits ein.
Versuchen die Gewerkschaftsbewegung zu spalten.
In Punkto Öl-Reserven beruhigt die Regierungsseite: „ es gäbe eiserne Vorräte für 3 Monate“. Tatsächlich waren diese das letzte Mal im Jahre 1968 nach den wochenlangen Streiks unter De Gaulle angezapft worden.
Allerdings hat die Gewerkschaft die Lastwagenfahrer aufgerufen aktiv ab Montag den 18. Oktober auf den Plan zu treten. Welchen Einfluss die Geldauslieferer /BRINK’S – die auch bereits mitmachen, haben werden, wird sich zeigen, sobald es keine Scheine mehr in den Bankomaten gibt, bzw. die Banken ohne Bargeld dastehen werden.
In zahlreichen Sektoren des öffentlichen Verkehrs ( SNCF, RATP) hat es bereits in der vergangenen Woche durchgehend Streiks gegeben, die bis zu 50% der Züge und der Schnellbahnen entfallen ließen.
DIE MACHT FÜRCHTET DIE JUGEND
ABER DIE JUGEND FÜRCHTET NICHT DIE MACHT
Seit einer Woche sind die Jugendlichen – vor allem die SchülerInnen – aktiv in die Bewegung eingetreten. Aktionen gab es in 1000 der 4000 Schulen in Frankreich. Bis zu 500 Schulen werden von Schülerkomitees blockiert, die nach einer Vollversammlung diese Aktionsform mehrheitlich beschlossen hatten. Die Medien waren verwundert über die Zusammenhänge, die die Jugendlichen zur Pensionsreform herstellten: Die Pensionen, eine Angelegenheit der Jugend; Je länger die Älteren arbeiten müssen umso später bekommen wir einen Job; arbeiten bis 80 Nein danke , Solidarität zwischen den Generationen, Kein Auseinanderdividieren der Älteren und Jüngeren; Zusammenhänge zwischen 1789, 1968, 2010 herstellen; usf.
Die Jugendlichen traten schwungvoll, unabhängig, spontan-selbstorganisierend und entschlossen in diese Bewegung ein. Diesmal sind die SchülerInnen den StudentInnen einen Schritt voraus. Interessant auch die Anmerkung: 1968 gingen die Jugendlichen zu den Arbeitern, damit sie mitmachen sollten und diesmal war es umgekehrt, denn die Arbeiterschaft mobilisierte bereits seit Wochen. Die SchülerInnen haben sich selber eingeladen und die großen Gewerkschaften fürchten, dass die Bewegung ihrer Kontrolle entgleiten könnte und gewalttätige Aktionen die breite Unterstützung in der Bevölkerung beeinträchtigen könnte.
Der 16 jährige Mittelschüler Tidjani Geoffrey war am 15. Oktober durch das Gummi – Geschoß eines Bereitschaftspolizisten (CRS) von einem in dieser Situation verboten-eingesetzten Flash-ball am Auge schwer getroffen worden, als er einen Mistkübel vor seiner Schule (Montreuil; östl.Vorort von Paris) gegen die anrückende Polizei hinlegte. (siehe Video bzw. siehe Video im Artikel).
DIE PATTSTELLUNG KÖNNTE SICH VERSCHIEBEN
Momentan versucht die herrschende Schichte den Widerstand aus zu sitzen und meint: diese Reform sei eine bedeutende Maßnahme, also sei es logisch, dass es bedeutenden Widerstand gibt.
Innerhalb der Bürgerblocksparteien UMP/Zentristen gibt es bereits Zweifel über die eiserne Haltung Sarkozys, mit der er vor allem für seine „mögliche“ Wiederwahl in 18 Monaten punkten will. Konkurrenten gibt es mehrere in seinem Lager. Diese immer tiefer gehende Uneinigkeit ist der größte Pluspunkt für die Widerstandsbewegung.
Das Gesetz war im Parlament am 15. September in erster Lesung angenommen worden und sollte Mitte Oktober im Senat – der zweiten Kammer – nach Anhörung der 360 Abänderungsanträge der Opposition beschlossen werden. Wegen der häufigeren Aktionstage wurden bereits die zwei wichtigsten Punkte der Reform über die Sarkozy nicht diskutieren lassen will d.h. das früheste Pensionsantrittsalter von 60 auf 62 nach 41,5 Beitragsjahren anzuheben und mit vollem Rentenbezug das bisherige Limit von 65 auf 67 anzuheben, eine Woche früher als vorgesehen beschlossen.
Der gesamte Text soll am Mi. den 20. Oktober nach dem Aktionstag vom Di. endgültig angenommen werden, um ihn dann bei der letzten Lesung im Parlament während der Allerheiligenferien Ende Oktober über die Runden zu bringen.
Der Vorsitzende der CGT-Gewerkschaft Bernard Thibault äußerte sich bereits in diese Richtung der vollendeten Tatsachen; um Sarkozy einen Ausweg anzudeuten:“ Es gab schon mehrmals Gesetze, auf die dann keine Anwendungsbestimmungen mehr gefolgt sind“ , also ein Gesetz nicht wirklich umgesetzt worden ist.( Demo. 16.Okt, Paris)
Francois Chérèque von der CFDT meinte: „es wird schwierig sein nach dem Mittwoch ( Abstimmung im Senat) zu mobilieren“.
DIE GEWERKSCHAFTLICHE EINHEIT STEHT VOR EINER ZERREISSPROBE
Seit Anfang September konnten die 8 Teilgewerkschaften für die Aktionstage die Einheit auf recht erhalten. Parallel dazu liefen gegen den Willen der Führung der größeren 2 Gewerkschaften
CFDT und CGT im Öffentlichen Sektor – Bahn, Bildung, Spital …- aber auch im privaten Energiebereich (Öl) Streik- und Besetzungsmaßnahmen, die nur von der Basis ausgingen. Hier steht Bernard Thibault CGT mit seiner sehr radikalen Basis in Konflikt.
Die 8 Teilgewerkschaftsspitzen haben zusammen nie für andere Aktionen als die großen Aktionstage aufgerufen.
Ob sich das Kräfteverhältnis zugunsten des Widerstands verschiebt, wird nicht nur vom Erfolg des Streik- u. Demotages am 19. Oktober abhängen, sondern vor allem vom Grad der Ausweitung der Streiks und Besetzungen an der Basis, die zum Ziel haben die Wirtschaft lahmzulegen.
Die letzten 2 Wochen haben gezeigt, dass diese Bewegung gegen eine Renten-kürzungs-reform in Richtung einer Ausweitung gegen die allgemeine Sparpolitik, Milliarden-hilfe für die Banken, und gegen ein total ungerechtes System sich zu richten beginnt. Ein weiterer Grund für die bürokratischen Gewerkschaftsführungen ein AUS zu suchen.
Johann Schögler 17. Oktober 2010
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