[Arbeit&Los] Mit Verfassungsrecht gegen Armut: Freiheitsentziehung durch das WMG; Der VfGH prüft § 4 Abs. 1 WMG
Zusammenfassung: Es wurde in Wien der Entzug der Midestsicherung damit begründet, der Bezug ist an einen Aufenthalt im Administrationsbereich Wien gebunden ist.
Anmerkung Aktive Arbeitslose Österreich: Über das Zutreffen von Artikel 5 EMRK kann man sich streiten, aber sicher nicht, dass die Bewegungsfreiheit nach Artikel 2. des 4. Zusatzprotokolls der EMRK vom rot-grünen Wien verletzt wird:
„Artikel 2 – Freizügigkeit
(1) Jedermann, der sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, hat das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen.“
https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Dokumentnummer=NOR12016885
Das wird der Verfassungsgerichtshof hoffentlich auch noch checken.
Martin Mair
Obmann „Aktive Arbeitslose Österreich“
Der Vorgang
Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
liebe Freunde,
Das WMG [Anm. friedi: WMG=Wiener Mindestsicherungsgesetz] sieht in seinem § 4 Abs. 1 eine geradezu brutale Regelung vor, wonach nach dessen Z. 2 keinen
Anspruch auf Mindestsicherung hat, wer sich nicht tatsächlich in Wien aufhält.
Diese Regelung schließt also jemanden sofort von der Mindestsicherung aus, wenn er die Wiener Landesgrenzen überschreitet und der Stadtgebiet von Wien und sei das auch nur für einen Tag (aus welchem Grund immer) verlässt oder verlassen muss. Gegenständlichenfalls wurde ein Rückforderungsanspruch erhoben. Diese meines Erachtens geradezu absurde Regelung mit grotesken
Konsequenzen (einem Mindestsicherungsbezieher wird auch der auf den Wohnbedarf entfallende Geldbetrag gegebenenfalls auch rückwirkend entzogen) wird nun vom Verfassungsgerichtshof geprüft (s. Attachement).
Haben Sie gewusst, dass Mindestsicherungsbezieher in Wien eine Gebietsbeschränkung wie Asylwerber auferlegt haben?
Ich muss gestehen, dass ich in der Beschwerdeführung in Sozialhilfesachen Neuland betreten durfte/musste: Vermutlich wäre niemand auf die Idee gekommen, dass die gesetzliche Missstände (Gebietsbeschränkungen) über Asylwerber schon in das Sozialhilferecht, das sich jetzt Mindestsicherungsrecht nennt, vorgedrungen ist. Erstmalig musste – zumal in dieser Materie – die
Verletzung des Rechts auf Freiheit nach Art. 5 EMRK geltend gemacht werden wie folgt:
» 3.3. Verletzung des Rechts auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5 EMRK):
Dieses Menschenrecht schützt vor gesetzwidriger Freiheitsbeschränkung.
Die gesetzliche Regelung läuft bei der gewählten Interpretation implizit darauf
hinaus, dass (wiener) Mindestsicherungsbezug letztlich einer Art Gebietsbeschränkung bei der Wahl ihres Aufenthalts (auch für kurze Zeiten und nur wenige Tage, ja sogar auch für nur einen einzigen Tag) unterliegen.
Gleich der Romanfigur des Franz K in Kafkas Prozess ist der Mindestsicherungsbezieher in Wien Zeit seines Mindestsicherungsbezuges
„verhaftet“ und darf das Wiener Landesgebiet – bei sonstigem Verlust seiner
materiellen Existenzgrundlage, auf die er vollkommen angewiesen ist – auch nicht einmal vorübergehend verlassen. Sollte sich der Gesetzgeber des WMGes bei der gegenständlichen Regelung das genannte Werk als Vorbild genommen haben, ist dazu zu bemerken, dass derartiges mit dem Gesetzmäßigkeitsprinzip nach Art. 5 EMRK [Anm, Friedi: WMRK=Europäische Menschenrechtskonvention] nicht in Einklang zu bringen wäre.
Müssen Asylwerber für eine derartige Gebietsbeschränkung – bei gegebenen weiteren gesetzlichen Grundvoraussetzungen – als freiheitsentziehende Maßnahme wenigstens eine Mitteilung nach § 29 Abs. 3 Ziffer 4-6 AsylG erhalten, wäre nach der in meinem Falle vertretenen Rechtsauffassung der Gewährung der
Mindestsicherung per se schon eine derartige Gebietsbeschränkung – bei sonstigem Verlust jeglicher Lebensgrundlage, wie sie durch die Sozialhilfe gesichert werden soll, insbesondere Nahrung und Wohnung – inbegriffen.
Die angefochtene gesetzliche Regelung verletzte damit auch Art. 5 EMRK. Wie
schon vorstehend aufgezeigt, verfolgt die Regelung kein legitimes Ziel.
Ich weiß nicht, wie oft von dieser unsäglichen Bestimmung tatsächlich Gebrauch gemacht wird.
Sollten weitere derartige Entscheidungen vorlegen und dagegen noch Rechtsmittelfristen offen sein, müssen diese unbedingt wahrgenommen werden. In den Genuss der Anlassfallwirkung mit der zu bereinigenden Rechtslage kommen nämlich nur jene Opfer dieser Bestimmung, die spätestens zu Beginn
der Verhandlung des Verfassungsgerichtshofes bei diesem Höchstgericht eine Beschwerde eingebracht haben.
Mit freundlichen (kollegialen) Grüßen
Rechtsanwalt Dr. Herbert Pochieser eh. Schottenfeldgasse 2-4 A-1070 Wien Tel.: ++43 1 5238667Fax: ++43 1 5238667-10
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Rechtsanwaltscode: R110832
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