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Robert Lessmann “ Das neue Bolivien“ ( Rezension )

Bloged in Allgemein by admin Montag März 15, 2010

Robert Lessmanns neues Buch gibt einen guten Einblick in die Geschichte des Landes und seine aktuelle Situation nach den Wahlerfolgen von Evo Morales und der MAS – der “ Bewegung für den Sozialismus“.

Bolivien hat eine urspannnde Geschichte. Bereits vor den Inkas gab es das Tiwanaku-Reich ( S.25 ff ) – mit vielfältigen Formen des Gemeinbesitzes und entsprechenden sozialen, politischen und Bewußtseinstrukturen. Im Inkareich blieben viele dieser Strukturen erhalten.

Conquista und Zwangschristianisierung führten zu Massenunterdrückung und Verelendung. Die Unabahängigkeit 1825 , die Herrschaft der Kreolen, änderte nichts an der Inferiorität für die der Mehrheit der ( indiginen) Bevölkerung.

Bolivien erlebte im 19.Jahrhundert historische Traumas wie den Salpeterkrieg mit Chile- die Hälfte der ursprünglichen Staatsfläche ging verloren – auch der Zugang zum Meer!

Rohstoffkonjunkturen brachten im 20.Jahrhundert zwar in den Händen einiger Weniger riesige Vermögen (etwa die legendären „Zinnbarone „) – ein genereller Aufschwung („take-off“) des Landes blieb jedoch aus.

Die Revolution von 1952/ 53 versandete bald (S.87 ff) – in der Landfrage etwa gab es kein Anknüpfen an der indigenen Tradition des Kollektivbesitzes.

Es folgten 1964 -1982 die blutigen Jahre der Militär- Dikatatur ( S.91 ff) und nach deren Ende die neoliberalen Reformen ( S.97 ff).

Das Resumee von Evo Morales: “ Die Unabhängigkeit 1825 und der bolivianische Nationalstaat waren nicht für uns gemacht “ ( S.8 ).
Diese historische Schieflage begann sich erst mit Kämpfen wie dem historischen Marsch der Tieflandindios für “ Land und Würde “ 1990 oder der Organisierung der cocaleros- wo Evo Morales herkommt- zu ändern.

Entscheidend war der Beschluß sich – über die sozialen, und gewerkschaftlichen Kämpfe hinaus- ein explizit politisches Instrument zu schaffen. 1999 wurde die MAS gegründet. Den Wahlerfolgen von 2005 folgte die neue multiethnische Verfassung und die Zweidrittelmehheit für die MAS in beiden Kammern im Dezember 2009.

2007/ 08 stand das Land am Rande des Bürgerkriegs. Die Rechte hatte sich insbesoders im reichen Tiefland eingebunkert. Sie überspannte jedoch den Bogen ( bis hin zu Terrorakten und Mordplänen gegen Evo Morales ) und brach in der Folge wahlmäßig weitestgehend ein.

Der „cambio“ hat bereits einige wesentliche positive Veränderungen bewirkt: von der drastischen Reduzierung der Analphabentenrate bis hin zu Enteignungsmöglichkeiten via Verfassung und Überführung in kollektiven Produktionsformen.

Trotzdem: noch immer ist der Reichtum des Landes gänzlich ungleichmäßig verteilt, die Agrarreform steht erst am Anfang, geschweige denn eine Agrarrevolution.

Lessmann schildert all das kenntnisreich und behutsam . Er spart auch nicht mit Kritik , zeigt zu recht Schwächen und Inkompetenzen auf- z.B auf dem Demokatrie-Sektor.

Zwei kritisch-solidarische Anmerkungen scheinen mir sinnvoll:

– nicht Marx und “ der“ Marxismus haben Spezifisches (z.b. die Situation der Indigenen) ausgeblendet ( S.58 ff ), sondern insbesonders dessen stalinistische Verballhorner. Marx selbst hat sich eingehend mit der “ asiatischen Produktionsweise“ ( allgemeiner den „Wasserbaubüroktratien“ ) beschäftigt. In der Debatte mit der russsischen Revolutionärin Vera Sassulitsch vertrat er die Ansicht, daß unter bestimmten Bedingungen die russische Form des ländlichen Gemeineigentums (“ obscina“ ) eine Basis für eine sozialistische Produktionsweise sein kann. Und in Lateinamtika selbst war es der undogmatische Marxist Jose Carlos Mariategui , der sich mit der Spezifik der Indigenas intensiv auseinandersetzte. Erst mit Kanonisierung der historischen Entwicklungslinie “ Feudalismus-Kapitalismus-Sozialismus “ wurde dieser für – Besonderheiten offene- Theorie-und Praxis-Strang ins Abseits gestellt- vor allem um ein – klassenübergreifendes -Bündnis der KPs mit der angeblich „progressiven“ (Industrie -) Bourgeoisie theoretisch zu legitimieren.

– Das als “ vage “ eingestufte Konzept des Vizepräsidenten Alvaro Garcia Linares eines “ capitalismo andino-amazonico “ ( S.154 ) wäre bestimmter zu hinterfragen. Natürlich bedarf es auch im “ neuen Bolivien“ Kompromisse, Lavieren ist nicht zu vermeiden- v. a. gegenüber dem US-Imperialismus, um sich nicht in eine bewaffnete Konfrontation drängen zu lassen .

Die berechtigten großen Erwartungen der bolivianischen Massen werden jedoch nur durch einen – sicher gut vorbereitenden – „Bruch“ mit der kapitalistischen Produktionsweise und seinen Trägern zu erzielen sein: den Großgrundbesitzern , der Unternehmerklasse.

Von 19.-22.April findet in Cochabamba der -weltweite- Gipfel der sozialen Bewegungen zur “ Rettung der Mutter Erde “ statt. Die „Augen der Welt “ werden nach dem offiziellen Flop von Kopenhagen ( und dem Erfolg des Alternativgipfels) auf Bolivien gerichtet sein.

Das Buch von Robert Lessmann bietet eine hervorragende Gelegenheit, die Hintergründe der vielen Debatten , die es dort geben wird, besser zu verstehen.

Hermann Dworczak
Robert Lessmann

Das neue Bolivien

Evo Morales und seine demokratische Revolution

Rotpunktverlag Zürich 2010. 252 Seiten. 21,50 Euro

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