[Unverwechselbares Graz] Kommentar zur Bürgerbeteiligung
[S]eit Kurzem ist wieder in diversen Bezirks- und Regionalblättern viel von Bürgerbeteiligung die Rede; die einen konstatieren, Beteiligung sei kein Wunschkonzert, es brauche klare Rahmenbedingungen, andere monieren, Graz müsse besser „auf seine Bürger hören“.
Beides erstaunlich: denn Bürgerbeteiligung für Vorhaben der Stadt Graz sind ziemlich genau und fast penibel in einem Leitfaden für Bürger:innenbeteiligung geregelt, wenn darin auch mehr die Rede ist, was nicht geht, als das, was möglich wäre, und übrigens auch nur für jene Vorhaben, die die Stadt auf die Vorhabensliste setzt – so viel zum Wunschkonzert. Der zweite öffentliche Aufruf überrascht insofern, als er von der Partei kommt, die 18 Jahre lang den Bürgermeister stellte und in dieser Zeit kaum als bürgerfreundlich aufgefallen ist; im Gegenteil Bürgerbeteiligung wurde drastisch eingeschränkt indem Sachleistungen und Zuwendungen für Bezirks-, Stadtteil- und Nachbarschaftszentren, die Beteiligung der Bewohner*innen als eine ihrer Aufgaben sahen, stark gekürzt bzw. gestrichen wurden – folglich Bürgerbeteiligung ade.
In Graz beschränkt sich Bürger:innenbeteiligung im allgemeinen auf Informationsveranstaltungen und eher formalisierte Stellungnahmen der unmittelbaren Nachbarn, ev. noch Befragungen und moderierte Dialoge, manchmal auch begleitende Schulprojekte – alles Formate, in denen Bewohnerinnen und Bewohner zwar einbezogen aber nicht ermächtigt werden, mitzugestalten und mitzuentscheiden. Entscheidungsprozesse darüber was an Vorschlägen oder Einwendungen Berücksichtigung findet, geschehen ohne die Bürger:innen in Gremien der Stadt und bleiben so intransparent; für die betroffene Bevölkerung ist das oft nicht nachvollziehbar und das Ergebnis frustrierend. Das bezieht sich vor allem auf die Beteiligung bei verschiedenen Raumplanungsprozesse, insbesondere Bebauungsplänen. Dieses Vorgehen ist zwar so durch das Steiermärkische Raumordnungsgesetz geregelt, was aber erweiterte Formen der Bürger:innenbeteiligung nicht ausschließen würde; warum also nicht bei ausgewählten Fällen in besonders sensiblen Bereichen oder dort, wo Bewohner:innen bereits selbst Foren der Beteiligung entwickelt haben, wie z.B. aktuell im Gries oder in Andritz?
Im Gries ging es zunächst um einen sehr umstrittenen Bebauungsplan, der nach massiven Bürgerprotesten von Amts wegen mit dem Versprechen eines erweiterten Bürgerbeteiligungsverfahrens zurückgezogen wurde. Allerdings fiel der versprochene Beteiligungsprozess knapper aus als von den Bürgerinnen und Bürgern erhofft; bei der Dialogveranstaltung wurde kaum auf die Einwendungen eingegangen, eine tatsächliche Mitwirkung der Anrainer:innen hat nicht stattgefunden und am Ende wurde wieder einmal ein fertiges Ergebnis präsentiert, das kaum Rücksicht auf die Einwendungen genommen hat. Aus diesem Kreis der Bewohner:innen hat sich in der Folge auch das Komitee Rösselmühle, als überparteilicher Zusammenschluss von Expertinnen und Experten aus den Bereichen Architektur, Universität und Kultur gebildet, das für einen nachhaltigen Entwicklungsprozesses des Areals der Rösselmühle und des Industrieerbes am Mühlgang zu einer integrierten Nutzungen (Kultur, Soziales, Tourismus, Bildung, Wohnen, Natur) auf Grundlage von stadtsoziologischen Forschungen und Expertisen einsetzt. Besonders bedauerlich in diesem Fall ist, dass es konkrete langfristige Nutzungsinteressenten in der Nachbarschaft gibt wie das Johann-Joseph-Fux Konservatorium und das GGZ (Geriatrische Gesundheitszentren Graz), die nicht einbezogen werden.
Anstatt des Potenzial der lokalen Ressourcen zu nutzen und alle Player an den Tisch zu bringen, also die Grundstückseigentümer, das Architekturbüro, das mit der Entwicklungsplanung beauftragt wurde, Vertreter:innen der benachbarten Kulturinitiativen, sozialer und gesundheitlicher Einrichtungen, und Mitglieder des Komitees wie auch Beamte der betreffenden Fachabteilungen, um einen partizipativen Planungsprozess durchzuführen, zeigte man in Graz nicht den Mut, neues Terrain einer integrativen Stadtplanung zu betreten, sondern beschränkte man sich wieder einmal auf moderierte Informationsabende. Die Rösselmühle aber ist mehr als ein Grundstück in einem vom Strukturwandel geprägten Stadtteil. Sie ist der Prüfstein für die Frage, wie Graz mit den Widersprüchen zwischen privatwirtschaftlicher Entwicklung und öffentlichem Interesse umgeht und berührt daher zentrale Fragen der Stadtentwicklung, wie kann eine sozial-gerechte Stadt mit kultureller Vielfalt und räumlicher Qualität geschaffen werden, vor allem dort, wo sich wirtschaftlicher Druck, private Interessen und öffentliche Verantwortung überlagern, und wen braucht es als treibende Kraft für eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung?
Dass der aktuelle Rahmen für Bürgerbeteiligung sehr unbefriedigend ist, hat auch die Initiative für ein lebenswertes Andritz erfahren. Sie hat eine Ideenskizze für das Andritzer Zentrum ausgearbeitet und einen partizipativen Planungsprozess für das Andritzer Zentrum vorgeschlagen. Das wurde zwar vom Bezirksrat unterstützt, aber von der Stadtplanung abgelehnt – es sei aktuell kein Vorhaben der Stadt. Daraufhin führte die Initiative ein Beteiligungsprojekt zur (teilweisen) Neugestaltung des Andritzer Hauptplatzes durch. Die dabei erarbeiteten Vorschläge wurden der Stadtplanung sowie anderen Ämtern präsentiert und seither verwaltungsintern weiterbearbeitet – ohne Information oder gar Einbeziehung der Initiative. Immerhin gibt es die Zusage, dass 2026 – nach fast drei Jahren (!) – erste Vorschläge realisiert werden sollen. Auch zum Radwegeausbau im Zuge der Radoffensive wurden Vorschläge ausgearbeitet – teilweise in Abstimmung mit den Nachbargemeinden – die jedoch allesamt unberücksichtigt blieben. Ernüchterndes Fazit: Planerisches Engagement ‚von unten’ widerspricht dem derzeitigen Verständnis von Bürgerbeteiligung. Es wird von der Verwaltung eher als störend empfunden – gleichzeitig wird aber darüber geklagt, dass es in den betroffenen Ämtern zu wenig Kapazität und Ressourcen gibt. Eine Diskussion darüber, wie beides verknüpft werden könnte, wäre dringend geboten.
Der Deutsche Städtetag konstatiert zum Thema Beteiligung, dass es sich „um das aktive Einbeziehen der betroffenen Einwohnerschaft in den Planungsprozess handelt. Welche Form diese Einbindung annimmt, kann stark variieren. Jedoch sollte bei „echter“ Partizipation, die Bürgerschaft auch die Möglichkeit haben, das Ergebnis aktiv mitzugestalten. Ansonsten ist die Beteiligung ein inhaltsloser und möglicherweise frustrierender Prozess für die Betroffenen, der den Status quo aufrechterhält und keine Chance auf Verbesserung bietet. Beteiligung kann nicht nur die Qualität von Entscheidungsprozessen erhöhen, sondern auch die Qualität der Planung selbst, da das fachspezifische Wissen der planenden Personen durch das Wissen der lokal ansässigen Bevölkerung ergänzt wird.
Für echte Bürgerbeteiligung gibt es unterschiedlich differenzierte Stufenmodelle, jedoch sollten zumindest folgende fünf Stufen umfasst sein:
- Information: Informationsveranstaltungen, Ortbegehungen, Dialoge, Ausstellungen, Marktstand u.a.m.
- Konsultation: Meinungen, Feedbacks und Vorschläge werden eingeholt durch Diskussionsveranstaltungen, World Cafe, Zukunftskonferenz, Bürgerforum, Befragungen
- Einbeziehen: Bürger:innen werden aktiv in einen Entscheidungsprozess einbezogen, um Lösungen zu erarbeiten und Vorschläge zu entwickeln, die anschließend in die politische Entscheidungsfindung mit einfließen, durch Round table, Zukunftswerkstatt, Fokusgruppen, Mediation, u.v.m.
- Kooperieren: Bürger:innen werden in den Entscheidungsprozess eingebunden, Bewohnerinnen und Bewohner bzw. deren Delegierte haben direkten Einfluss auf politische Entscheidungen, sie arbeiten mit politischen Vertreter:innen zusammen, um machbare Lösungen zu finden und umzusetzen in Zukunftswerkstätten, Konferenzen, multidisziplinären Lenkungsgruppen oder – ausschüssen u.a.
- Ermächtigen: Bürger:innen können das Ergebnis bei weitgehender Autonomie und Kontrolle aktiv mitgestalten in Form von Bürgerinitiativen, Stadtteilzentren, Genossenschaften;
Echte Bürgerbeteiligung erhöht die Akzeptanz von Entscheidungen, verbessert politische Entscheidungen, schafft Vertrauen in demokratische Prozesse und steigert das Gemeinschaftsgefühl, und schafft gegenseitiges Verständnis!
Wir bleiben an dem Thema dran und halten Sie am Laufenden. Besuchen Sie uns auf Facebook, der Facebook-Gruppe, auf Bluesky und Instagram, beteiligen Sie sich und verteilen Sie die Informationen über die Initiative für ein unverwechselbares Graz auch in Ihrem Kreis von Bekannten, Kolleg/innen und Freund/innen.
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