[Brunath] Essay: Sind manche Politiker beleidigte Leberwürste?
Es ist erstaunlich, dass die Wähler in diesem Zusammenhang nur als diejenigen erachtet werden, die etwas zu erbringen haben, nämlich einen besonderen Respekt gegenüber Politikern.
Kathrin Wahlmann, Niedersächsische Justizministerin im Kabinett Weil formulierte einen Entwurf für eine Neufassung des „Beleidigungs-Paragrafen“:
„Wer sich in besonderer Weise für das Gemeinwesen einsetzt, dem soll auch der besondere Schutz des Gemeinwesens zugutekommen.“
Die Ehre eines Politikers in seiner Eigenschaft als Politiker ist eine besonderes Gut! Wieso dass?
Man könnte postulieren, dessen Ehre bestünde einzig in seiner Nützlichkeit für jene, die zu vertreten er behauptet. Nun, untersuchen wir das mal.
Wahlmann scheint sich der Tatsache nicht bewusst zu sein, dass sie mit ihrer Formulierung hier einen deutlichen Widerspruch eröffnet. So fragt man sich, in welcher Weise hat sich beispielsweise Wirtschaftsminister Robert Habeck „für das Gemeinwesen“ eingesetzt? Indem er dazu beitrug, Deutschland zu deindustrialisieren, ganz im Sinne der einstigen Kohl’schen „blühenden Landschaften“? Oder mit seinen Bemühungen, essenzielle Handelsbeziehungen wie jene nach China zu kappen? Oder mit seinem berüchtigten Heizgesetz, das eigentlich nur dazu taugt, künftigen Generationen von Juristen als abschreckendes Beispiel vorgelegt zu werden?
Wie ist es mit der aktuellen Ansammlung von Politikern, die Deutschland bald in einen Ostlandfeldzug schicken möchten? Und das in einem Zeitalter atomarer Bewaffnung, in dem wir uns nach wie vor befinden? Das, wonach Personen wie Roderich Kiesewetter oder auch Verteidigungsminister Boris Pistorius oder die „sehr beliebte“ Frau Strack-Zimmermann streben, ist das extreme Gegenteil von „für das Gemeinwesen einsetzen“, außer, man hielte Deutschland völlige Zerstörung für irgendeine verquere Form von Nutzen.
Bei der Begründung, warum man unbedingt gegen „Hass und Hetze“ vorgehen müsse, beruft man sich gerne auf die Weimarer Republik. Die angeblich an den „Extremisten“, also Nazis und Kommunisten, untergegangen sei. Eine Erzählung, die wieder einmal entscheidende historische Tatsachen unterschlägt:
Hier zur Erinnerung an jene, die das vielleicht schon in der Schule gelernt hatten aber inzwischen vergessen haben: Deutschland befand sich nach dem 1. WK über Jahre hinweg am Rand eines Bürgerkriegs (1918 bis 1923), dessen entscheidendes Merkmal ein Bündnis zwischen der SPD-Führung und extremen Reaktionären war. Mord von Rosa Luxenburg und Karl Liebknecht war deren Agenda. Der Versailler Vertrag war nicht dafür ausgelegt, eine Verbesserung der Lage der Normalbevölkerung zu ermöglichen. Der Anfang der 1930er Jahre einsetzenden Weltwirtschaftskrise begegnete der Zentrum-Politiker (heute die C-Parteien) Brüning damit, Deutschland zur Exportnation zu machen – auf Kosten der Löhne (ein Konzept, das unter Merkel nach 2007 griff – sinkende Löhne, steigende Verarmung der Normalbevölkerung). Und dass die Machtübergabe an Hitler aus der bürgerlichen Ecke erfolgte, begrüßt von der Industrie, und ziemlich wenig mit Straßenkämpfen oder gar Verbalinjurien zu tun hatte.
Auch damals war es mitnichten die Beschimpfung von Politikern, die die Demokratie gefährdete, sondern es war ganz konkretes, materielles Elend, das die politische Lage instabil werden ließ.
Schauen wir uns an, was sich die bundesdeutschen Politiker noch in den 1970ern gegenseitig einzuschenken beliebten. Die berühmten „Ratten und Schmeißfliegen“, mit denen dereinst Franz Josef Strauß Schriftsteller beschimpfte, waren abstoßend – aber niemand sah darin eine Gefährdung des demokratischen Gemeinwesens, höchstens einen Ausdruck einer undemokratischen Gesinnung des Redners.
Der Unterschied zwischen jenen Jahren der alten Bundesrepublik und der Gegenwart ist unmittelbar messbar: vier Millionen Sozialwohnungen zum Beispiel – Trend zunehmend. Im Jahr 1976 überschritt die Arbeitslosigkeit erstmals seit mehr als zwanzig Jahren wieder die Million. Andererseits – mit einem Facharbeiterlohn konnte noch eine mehrköpfige Familie versorgt werden. Die Züge fuhren pünktlich, die Post kam am nächsten Tag und auch der Postbote konnte von seinem Einkommen leben.
Paradiesisch nicht, dennoch Zustände, von denen die damaligen Politiker behaupten konnten, sich „für das Gemeinwesen“ eingesetzt zu haben. Und Heute? Zweifel sind berechtigt, ob die Politiker einen derartigen Anspruch erfüllen.
Nach den Coronamaßnahmen, die von sehr vielen als Demütigung empfunden wurde, folgte übergangslos „Solidarität mit der Ukraine“, und die Kastrierung der Volkswirtschaft durch Sanktionen und ein rasender Eifer, die vorhandenen Mittel in einem Krieg zu verfeuern. Dringende Probleme des Landes zu lösen? Fehlanzeige! Das aber löst die Unzufriedenheit aus. Die Alltagserfahrung großer Teile der Bevölkerung ist, dass ihnen das Handeln der Politiker eher schadet.
Beispiel eines kleinen Zerstörungswerkes: Gesundheitsminister Karl Lauterbach konnte es quasi unbemerkt schaffen, die Pläne, die sein Lobbist Bertelsmann ausgeheckt hatte, fast unbemerkt durchs Parlament zu schieben. Vom Gesundheitswesen ist nur noch Profitables übrig geblieben.
Also auf welche Ehre kann die derzeitige Politik Anspruch erheben? Ist es nicht vielmehr ihr Handeln, das eine einzige Beleidigung des Wählers darstellt? Die dieser dann mit vergleichsweise hilflosen Wortmeldungen zu kompensieren sucht?
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock beispielsweise hatte ja gesagt, dass es ihr egal sei, was ihre Wähler denken. Ein Punkt, den sie mit ihrem Handeln unzweifelhaft belegt. Bei dieser Einstellung wäre eigentlich zu erwarten, dass sie dann auch hinzunehmen vermag, welche Freude dies bei den Missachteten auslöst. Da allerdings ist schnell Schluss mit egal – auch sie gehört zu den Spitzenbeleidigten.
Hier aber erhebt sich die Frage, wie weitreichend sind solche „Beleidigungen“? Und hat diese Beleidigung überhaupt in irgendeiner Weise das „öffentliche Wirken der Person erschwert? Wenn eine Annalena Baerbock, ein Robert Habeck oder ein Karl Lauterbach auf öffentlichen Veranstaltungen ausgebuht werden, hat das eher mit ihrem tatsächlichen Wirken zu tun als mit irgendwelchen unfreundlichen Veröffentlichungen. Was überhaupt haben private Befindlichkeiten im politischen Amt zu suchen? Das Recht, ein politisches Amt ausüben zu dürfen, ist ein Privileg und eine Verpflichtung gegenüber jenen, die einem dieses Recht gewährt haben.
Nein, selbst wenn an jeder deutschen Häuserwand Habeck-Schwachkopf plakatiert wäre, das würde die Demokratie nicht gefährden. Was sie gefährdet, sind vor allem Politiker, die ihr Land zugrunde richten, weil ihnen der Respekt vor der Bevölkerung abgeht. Der Souverän, das Volk, die Wähler gefährden nur mit einem – indem sie solche Politiker gewähren lassen.
Essay von Rainer Brunath Hamburg 7.12.2024
Das Essay als PDF: Sind manche Politiker beleidigte Leberwürste
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