[Brunath] Essay: Scheinopposition ist keine Systemalternative
Rechte CDU-Hardliner fürchten ihre Schwesterpartei, die AfD, distanzieren sich öffentlichkeits-wirksam und ihre „Experten“ identifizieren mal wieder den „demokratiefernen Jammerossi“ als Übel.
Absurditäten nehmen zu im Takt mit der politisch vorangetriebenen Zerrüttung der Lebensverhältnisse der Menschen. Analyse der Gesamtlage? Fehlanzeige! Nicht einmal die eindeutige Ursache wird reflektiert: die berechtigte Wut auf die etablierte Kriegskurs-Politik. Der Wähler jedoch müsste sich fragen: Was bringen solche Wahlergebnisse wirklich, was bringt mir das Kreuzchen hier oder dort wirklich oder überhaupt?
In Sachsen, dessen Wähler sich einst (in den 1920er Jahren) den Kommunisten anvertrauten, verteilt sich ein konservativer Wählerstamm inzwischen auf fast 32 Prozent CDU und knapp 31 Prozent AfD. Wie ist nach 40 DDR-Jahren ein solcher Wandel möglich? Immerhin gaben die Wähler dort dem BSW noch 12 % ihrer Stimmen.
Eines aber ist deutlich, in Thüringen wie in Sachsen: die etablierte Politik haben die Menschen in beiden Ländern satt und man erhofft sich Veränderung durch AfD oder BSW. Wenn das man keine Fehleinschätzung ist! Dennoch: Die Kriegstreiberei gegen Russland, die damit verbundene desaströse Energiepolitik, die zu einer Explosion der Heiz- und Stromkosten führte, die Migrations-politik sowie die Angriffe auf die Meinungs- und Pressefreiheit kritisieren beide Parteien und bringen sich damit auf Konfrontationskurs zu den USA-Lakaien aller anderen Parteien.
Sündenbock „Ossi“
Die sogenannte „Wiedervereinigung“ brachte den Menschen in der vergangenen DDR nicht nur Armut, auch Verachtung seitens des Westen und damit die besserwissenden „West-Experten“ in alle Führungspositionen im Land. Die waren und sind die einzigen, die Reichtum gescheffelt haben, nicht nur auf Kosten der Menschen im Land. Herausragend: Chefsessel der Medien, wurden mit „Westexperten“ besetzt. Von denen kann man nicht erwarten, dass sie diesen Zustand beleuchten und kritisieren. Zur Meisterschaft haben die es statt dessen mit Zensur und „Cancel Culture“ gebracht.
Lachhaft erscheinen, wenn es nicht so ernst wäre, die unsäglichen Ergüsse jenes „Ostbeauftragten“ der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), der eine „geringe Parteibindung in Ostdeutschland beklagte“. Damit wären wir beim Demokratiethema. Der Zustand des Verständnisses der west-deutschen Politik von Demokratie: Das Großkapital von US-Gnaden bestimmt, wo es langgeht, die Leute sollen die Umsetzer aus dem vorgesetzten Parteienblock wählen. Diese Einheitsfront nennen die Bullshit-Propagandisten dann „demokratische Mitte“.
Der Ossi als Feindbild lebt also noch immer. Demokratiefern sei er, ein bisschen minderbemittelt und notorischer Nazi sowieso, unheilstiftend eben. Mit „Bösen“ redet der „gute“ Demokrat bekanntlich nicht: nicht mit Russland, nicht mit dem Iran, nicht mit Palästinensern, und so weiter – eben auch nicht mit Ossis.
Weit und breit sucht „Mensch“ nach der Frage, warum denn diese Ossis politische Vertreter wählen sollten, die ihre Probleme nicht ernst nehmen, die die Menschen im Osten wie eine billige Verfügungsmasse fürs westliche Kapital benutzen und eh nicht mit ihnen reden wollen? Ist die Frage so fern? Aber wahrscheinlich fällt den sog. Eliten im Westen das schon gar nicht mehr ein, weil ihnen so was wie Selbstachtung fremd geworden ist. Der Ossi-Wähler hat sie noch!
Der westliche Imperialismus
Weit und breit also keine Spur auch von einem Blick auf die tatsächlichen Interessen der „kleinen Leute“. Das alles wäre aber nötig, um die Anschlussfrage stellen zu können: Inwiefern sind AfD und BSW tatsächlich eine Opposition im Sinne der Mehrheit der Ottonormalbürger? Gegen die desaströs agierenden etablierten Parteien zu sein, genügt nicht.
Dazu ein Blick auf den weltpolitischen Kontext. Deutschland ist eingebunden in den westlichen Kapitalblock, der mittels NATO eine imperialistische Strategie gegen seine Kontrahenten, im wesentlichen Russland und China, verfolgt. Er verfolgt das Ziel, Märkte zu erobern, technologisch Oberwasser zu gewinnen und kriegerisch aufzurüsten. Die NATO ist somit eine imperialistische Eroberungsarmee im Interesse des westlichen US-geführten Kapitalblocks.
Die NATO-Führungsmacht, betrachtet also Europa kurz gesagt als Kolonie für ihre eigenen Interessen, die es, wie in vergangenen Jahrhunderten gehabt, auszuplündern gilt. Rücksicht gibt es dabei nicht weder auf die eigene Bevölkerung, noch auf die Zustände in Europa, wo es sich ähnlich entwickelt.
Beispiel die NATO-Osterweiterungen, die einer kolonialen Erweiterung gleich kommt, nach dem Motto: Wenn du nicht beitrittst, bekommst du keinen militärischen Schutz. Das ist wie die Mafia in großem Rahmen: Schutzgelderpressung.
Das Ganze führt natürlich zu wirtschaftlichen Krisen, die zu Problemen mit zunehmend verarmenden, aber auch widerspenstigen Bevölkerungen führen. Siehe oben, der „Sündenbock Ossi“. Was bleibt den Regierenden? Autorität mit mehr Zensur, mehr Verboten, mehr Staatsgewalt. Und die etablierten Parteien in Deutschland, von der SPD bis zu den Grünen, der CDU bis zur FDP, vertreten die imperialistische Agenda der USA. Ihnen wurde ihre Selbstachtung abgekauft.
Scheinopposition
Und nun zur Kernfrage: wen vertreten eigentlich AfD und BSW? Plappern tun sie beide sehr freundlich. Allerdings fehlt bei ihnen ein entscheidendes Argument: Beide prangern nicht die systemische Ursache der innenpolitischen Verwerfungen an: Den NATO-Imperialismus von US-Gnaden.
Die AfD will nicht an Deutschlands NATO-Mitgliedschaft rütteln. Fragt man sich: was will sie dann? BlaBla-Deutschlands Stellung in der NATO verbessern und das Militärbündnis mehr auf Verteidigung umpolen? Wie stellt sich die AfD das vor? Das ist angesichts der Machtverhältnisse utopisch. Die NATO-Osterweiterungen waren nie ihr Thema, und auch Waffenlieferungen in Kriegsgebiete nicht. Die Ukraine ist für die AfD eine Ausnahme, aber nur, weil die abgebrochenen wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland die deutsche Industrie in den Ruin treiben.
Mit anderen Worten: Die AfD will am System nichts ändern, auch nicht am imperialistischen Vorgehen der NATO gegen alle Welt. Damit steht sie an der Seite des von US-Monopolen bedrohten deutsch-nationalen Großkapitals, das auf günstige Energie aus Russland angewiesen ist. Das würde zumindest vorläufig, dem deutschen Mittelstand helfen. Aber reicht das?
Das BSW umschifft die ganze NATO-Frage sogar vollständig. Stattdessen wünscht es sich mehr „eigenständiges Europa souveräner Demokratien“, deren abweichende Interessen die USA doch bitte, bitte beachten möge. Aber ist das realistisch? Als Mitglied der NATO dies auch nur ansatzweise umzusetzen ist eine Illusion. Frage: welche Naiv-Vorstellung treibt die BSW an???
Auch außenpolitisch kann sich weder mit der AfD noch mit dem BSW nicht viel ändern. Die Ursachen für Flucht und Migration bleiben unverändert. Um diese zu beheben bedarf es mehr als nur ein Bitte, Bitte an die USA. Im Verbund mit der NATO wird es dazu nicht kommen. Ohne aktiven Kampf gegen die Fluchtursachen wird man Flüchtlinge und Migranten nur mit Barbarei abwehren können. Und Barbarei führt zu noch mehr Barbarei.
Um es kurz zu machen: mit dem Hahnenkampf zwischen den US-Lakaien und der AfD und BSW manifestiert sich eine Auseinandersetzung zwischen zwei Kapitalfraktionen: der US-dominierten, multinational agierenden und der mehr den westlichen, darunter den deutschen Markt beherrschenden, häufig auf fossile Technologien setzende, zusammen mit dem deutschen Mittelstand.
Damit existiert sichtbare Opposition, d.h, eine wirkliche Alternative in Deutschland tatsächlich nicht, denn AfD und auch der BSW stehen keineswegs primär an der Seite der lohnabhängigen Mehrheitsbevölkerung. Für deren Interessen wären mindestens systemische Umschwünge nötig, allem voran eine Abkehr vom NATO-Imperialismus (Austritt aus der NATO) sowie der Kampf gegen die Monopolbildung, durch weitreichende Entprivatisierungen und Vermögensbegrenzungen etwa.
Das Fehlen einer echten Opposition für die Interessen der Lohnabhängigen ist geradezu ein Glücksfall für das imperialistische Parteienkartell. Diese kann innerkapitalistische Konkurrenten, die kein bisschen bedrohlich für das System sind, zu großen Buhmännern aufblasen und die Wähler so immer noch daran hindern, ihre eigenen Interessen zu erkennen und dafür zu kämpfen.
Anders ausgedrückt: Ein rechter Parteienblock bekämpft eine Scheinopposition und erklärt deren Wähler zu Sündenböcken, die für einen „Rechtsruck“ verantwortlich seien, den die Altparteien selbst verantworten. Dazu gibt’s gratis eine moralinsaure Entrüstungsshow.
Rainer Brunath, 5.9.2024 Hamburg
Das Essay als PDF: Scheinopposition ist keine Systemalternative
No comments yet.