„Sozialismus mit chinesischen Charakteristika“- 3.Bericht Dvorczak
„SOZIALISMUS MIT CHINESISCHEN CHARAKTERISTIKA“
Bericht von H.Dvorczak
Zweifelsohne hat China in den beiden letzten Jahrzehnten oekonomisch maechtig zugelegt. Jaehrliche Wachstunsraten um die 10 Prozent- in aktuellen 3.Quartal 7,4 Prozent- lassen die „China-Experten“ nur so staunen. Auch bei der Reduktion der Armut im Lande gab es betraechtliche Fortschritte. So gelang es in dem 1,4 Milliarden EinwohnerInnen zaehlenden Land die extreme Armut um 250 Millionen Menschen zu reduzieren.
Zumindest in den oestlichen Regionen ist die Versorgungslage gut. In Qingdao- auch international wegen seines Biers bekannt- gehe ich in einen Supermarkt in einem Viertel, wo nicht die Gestopften mit ihren Glitzerpalaesten und Luxuskarrossen wohnen. Das Warenangebot ist breit- wenn auch nicht fuer alle so leicht erschwinglich. Ein halbes Kilo Zwetschken kostet 7,90 Yuan, etwas weniger als ein Euro- bei einem ArbeiterInneneinkommen von 2500-3000 Yuan nicht gerade wenig.
Trotz der Aufwaertstrends ist China nach wie vor – auch in der offiziellen Selbsteinschaetzung(!) ein „Entwicklungsland“. Die Mehrheit der Bevoelkerung lebt auf dem Land. Auch wenn es dort Verbesserungen gegeben hat, von einem generellen „take off“ des Landes kann keine Rede sein. Nur von einer „Unterentwicklung des inneren Marktes“ zu sprechen waere eine glatte Untertreibung.
Der oekonomische Fortschritt ist das Ergebnis einer massiven Reform- und Oeffnungspolitik. „Reform“ meint starkes Setzen auf den „Markt“- „Oeffnung“ erfolgt in weit ausholender Manier gegenueber dem inlaendischen und auslaendischen Kapital.
China zaehlt zu den Laendern mit dem staerksten Auseinanderklaffen der Einkommensschere. Die Arbeitsbedingungen in den -multinationalen- Konzernen sind schlicht beschaemend: die Zustaende bei Foxconn, die zu einer Serie von Selbstmorden unter den Beschaeftigten fuehrten, haben international fuer Schlagzeilen gesorgt. Geaendert hat sich bei Foxconn nicht viel- dafuer liess die Firmenleitung an den Gebaueden Netze (!) anbringen, damit es bei Selbstmordversuchen keine weiteren Toten gibt…
Bei mehreren Gelegenheiten habe ich waehrend meines China-Aufenthalts diese Dinge problematisiert. Ich betonte stets , dass in einer „Uebergangsgesellschaft“ zum Sozialismus auf Marktmechanismen NICHT verzichtet werden kann. Ich erwaehnte auch die Lage in der jungen Sowjetunion- Einfuehrung der „Neuen Oekonomischen Politik“ (NEP)-, die damaligen, offen ausgetragenen Debatten und die katastrophalen Folgen der exzessiven Anwendung der „Reform“politik unter der Aegide von Stalin/Bucharin, die die Parole „Bereichert Euch!“ ausgeben hatten.
Bei offiziellen Repraesentanten- auch im Uni-Berteich- gibt es fuer solche triftigen Argumente meist nur die kalte Schulter. Ein beliebtes Argumentationsmuster lautet: „Ja es gibt da und dort Probleme, aber im Kern hat die Partei die Dinge im Griff“. Konkreten Debatten wird gerne ausgewichen. Wenn ich etwa an Hand von Beispielen wie privatem Wohnungsbau, Stadtplanung, Ueberhandnehmen des Individualverkehrs, Kommerzialisierung in immer mehr Bereichen etc. unterstrich, dass das Kapital einer ganz anderen gesellschaftlichen Entwicklungs-Logik folgt und nicht ueber Jahrzehnte hinweg „zur Entwicklung der Produktivkrafte ausgenutzt werden kann“, hoerte ich nur allzuoft ganz allgemein und unverbindlich: „Die Enwicklungsrichtung stimmt schon, und wie lange der Weg zum Sozialismus dauert, kann niemend sagen “
Mittlerweilen haben auch Kapitalisten in der KP Chinas ihren Platz. Die neuen, am kommenden Parteitag (Beginn 8.November) zu waehlenden Fuehrer haben schon jetzt angekuendigt, dass sie noch weiter in Richtung „Reformen“ gehen werden. Und der Fall Bo Xilais dient als Schwungrad fuer diese neuerliche Rechtsentwicklung.
Realistischer weise muss man/frau sagen, dass es nur wenig -sichtbaren-
Widerstand gegen diese Negativ-Entwicklung gibt. Das rigide politische System laesst kaum Spielraum zu. Die ArbeiterInnenproteste der letzten Jahre sind zwar ein erstes Fanal, aber verbleiben zumeist auf der („gewerkschaftlichen“) Betriebsebene.
Im akademischen Bereich gibt es einige interessante diesbezuegliche Debatten. Wenn ich am Ende meiner speakers-tour nach Beijing komme, werde ich in der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften (CASS)- von der ich eingeladen wurde- im Departement Marxismus folgenden Vorschlag unterbreiten: angesichts der Tatsache, dass in Laendern wie China, Vietnam und Cuba aehnliche Debatten ueber „Marktreformen“ gefuehrt werden, erscheint es sinnvoll eine breit angelegte internationale Konferenz ueber die „Zukunft des Sozialismus“ zu organisieren. Ich bin schon gespannt, wie die Reaktionen auf meinen Vorschlag sein werden…
22.10.2012, Hermann Dworczak (0043 / 676 / 972 31 10 )
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