Der AMS-Algorithmus als Indikator für die neoliberale Politik
Was soll ein Algorithmus schon großartige über die politische Ausrichtung einer Regierung aussage? Nun: Die Vorgänge um den sogenannten AMS-Algorithmus zeigen doch einige lehrreiche Facetten, wohin sich die Regierung bewegt.
Im Zuge der Privatisierungs- und Modernisierungstendenzen der 1990er Jahre wurde auch das Arbeitsamt in ein Dienstleistungsunternehmen umgestaltet (siehe: https://www.linkestmk.at/archive/17553#more-17553 ). Allein dieser Vorgang, der auch in anderen Ämtern und Staatsdienststellen zu beobachten war und ist, würde mehr Aufmerksamkeit verdienen. Mit dem angesprochenen Algorithmus hängt dieser Vorgang aber nur insofern zusammen, dass durch diese Neugestaltung des Arbeitsamtes als Arbeitsmarktservice ein Zwitterwesen geschaffen wurde: Einerseits der Weisung der Regierung in Punkto Arbeitsmarktpolitik verpflichtet und anderseits ein Service-Betrieb für die Arbeitgeber zum Zweck der Arbeitskräftebeschaffung.
Im Zuge der weiteren Kostenoptimierung und zur Effizienzsteigerung der Arbeitskräftevermittlung gab die Regierung den Auftrag, diese Tätigkeit durch E-Government – also mit Unterstützung durch EDV zu verbessern.
Der AMS-Algorithmus, auch AMAS oder PAMAS genannt, war geboren. Der Algorithmus sollte für das AMS die Ressourcenlenkung (Senkung der Betreuungskosten) und die Effizienz der Vermittlung verbessern. Ziele, die schön klingen. Der Algorithmus kam jedoch sofort unter heftige Kritik und der Einsatz wurde sogar gerichtlich untersagt (siehe: https://www.linkestmk.at/archive/18327 ) – und hier beginnt die Indikatorfunktion des Algorithmus für die neoliberale Regierungspolitik.
Zu sehen ist bei diesen Vorgang einiges:
- Das tiefe Unverständnis der Technokraten (und der Regierenden) für Humanität.
- Die Politik entzieht sich ihrer Regierungs-Verantwortung.
- Der bedingungslose Vermarktungswille für alles und jedes der neoliberalen Regenten.
- Das zynische Spiel der Regenten mit der Rechtsstaatlichkeit.
Das Unverständnis der Technokraten für Humanität.
Von Anfang an stand die Realisierung des AMS-Algorithmus in der Kritik, die humanen Werte, also die Persönlichkeitsrechte der Arbeitssuchenden zu unterlaufen. Der Algorithmus war in seiner Machart und in seiner Anwendung undurchsichtig – modern ausgedrückt: Nicht transparent – d.h. weder für die Arbeitssuchenden noch für die Berater sind die Einstufungen und die Folgen der Einstufung klar. Ebenso unklar ist das allgemeine Recht des Arbeitssuchenden: Gibt es Einspruchsmöglichkeiten? Sind die herangezogenen Daten gültig? Was wird daraus geschlossen usw. usw. (siehe dazu: https://www.linkestmk.at/archive/13342 ).
Von Seiten der Produzenten des Algorithmus ist der Bewertungshorizont mit der korrekten Umsetzung der Anforderungen in eine Computerlösung erledigt. Fragen der operationellen Abwicklung am Amt, oder die Implikationen für die Arbeitssuchenden, die tauchen in den Spezifikationen zur Software-Lösung gar nicht auf. Anfragen oder Kritik in diese Richtung werden gleich gar nicht verstanden (siehe:https://www.derstandard.de/story/2000109166506/ist-der-glaube-an-zeitsparende-ams-algorithmen-naiv ) . Die Reaktion der Technokraten auf die Kritik begrenzt sich auf die Abweisung des Begriffs KI oder in der Beteuerung, dass Menschen das Ergebnis immer noch verwerfen könnten. Die Kritik, dass nun lernende Algorithmen eingesetzt werden um Menschen zu klassifizieren und in ihrer Zukunftsgestaltung festzulegen, dieser Punkt wird völlig negiert, weil er negiert werden soll. Die schöne neue neoliberale Welt hat den Menschen eben nich im Fokus, sonder die Effizienz der Vermarktung.
Die Politik entzieht sich der Verantwortlichkeit
Wird die auftraggebende Politik auf die humane Problematik angesprochen (siehe: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_00412/index.shtml). reagiert sie mit den Verweis auf ministerielle Kompetenzverschiebungen – Minister Anschober dessen Ministerium inzwischen nicht mehr zuständig wurde – bis hin zu ignoranten Antworten des nun zuständigen Ministeriums: Ministerin Aschbacher etwa klärt bei der Anfrage, ob nun die Menschen durch einen Algorithmus eingestuft werden sollen (siehe: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_00412/imfname_776422.pdf ) auf, dass der AMS-Algorithmus „nicht mit der Vergabe von Punkten arbeitet“ (https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/AB/AB_00397/imfname_782587.pdf) sondern mit „Merkmalskombinationen“ (ebd.) und dass die Umsetzung des Algorithmus Sache des AMS sei und daher das Ministerium nicht betrifft (obwohl das Ministerium eigentlich der Auftraggeber ist).
Hier ist ein zentraler Punkt neoliberaler Politik klar zu erkennen: Man ordnet etwas an, schafft dafür eine eigene juristische Person – eine ausgelagerte Gesellschaft – und distanziert sich dann von der Umsetzung. Das Konzept des Outsourcen ermöglicht hier das Hände-In-Unschuld-Waschen. Sehr elegant wird hier einerseits ein abhängige Organisation mit politischen Verantwortlichkeitslücken geschaffen. In der parlamentarischen Anfragebeantwortung liest sich das so:
Der Grund dafür [Anm. Frie.: Für die Nichtzuständigkeit des Ministeriums] liegt in der im Arbeitsmarktservicegesetz geregelten Kompetenzverteilung zwischen Ministerium und AMS als Dienstleistungsunternehmen öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit. Demnach gibt die Ministerin dem AMS allgemeine Zielvorgaben zur Durchführung der Arbeitsmarktpolitikvor. Als ausgegliedertes Dienstleistungsunternehmen ist es Aufgabe des AMS die Arbeitsmarktpolitischen Zielvorgaben umzusetzen und die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen,um seine Aufgaben und das nach § 29 Abs. 1 AMSG festgelegte, übergeordnete Ziel der Verhütung und Beseitigung von Arbeitslosigkeit zu erfüllen.(https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/AB/AB_00397/imfname_782587.pdf)
Wunderbar! Dieser Kunstgriff wird sich später beim Auskunftsbegehren von AMSEL wieder lohnen. Es ist nun politisch niemand mehr verantwortlich – und die Auskunftspflicht ist ein reines Propagandamittel ohne Inhalt.
Der bedingungslose Vermarktungswille
In den Vorgängen rund um die Neugestaltung des AMS ist auch der bedingungslose Vermarktungswille der neoliberalen Kräfte zu sehen. Leider begann dies schon mit der SPÖ-ÖVP-Koalitionsregierung 1994 unter Kanzler Vranitzky (SPÖ). Mit der Ausgliederung der Arbeitsmarktverwaltung aus den Regierungsaufgaben war der Weg frei, die arbeitssuchenden Menschen als reine Marktware zu betrachten. Die arbeitssuchenden Menschen sind nun fortan keine Staatsbürger dessen Interessen das Arbeitsamt zu vertreten hat, nun sind sie einfach eine Vermittlungsmasse, die nach dem Bedarf der Unternehmungen zugeteilt und zugerichtet werden soll.
Auch das alte Arbeitsamt war nicht der Weisheit letzter Schluss. Die fehlgeleiteten Ausbildungskampagnen gab es auch damals zu Hauf. Der Unterschied ist aber im prinzipiellen Zugang zu sehen: War das Arbeitsamt noch ein Amt der staatlichen Verwaltung und im Verantwortungsbereich der Bundesregierung und somit den Wählerwillen zumindest ideell zugeordnet, so ist das AMS nun ein Dienstleistungsunternehmen mit behördlichen Befugnisse, in dem die arbeitssuchenden Menschen nur mehr eine Ressource darstellen.
Der AMS-Algorithmus treibt diesen Aspekt weiter auf die Spitze: Über den Algorithmus werden die Arbeitssuchenden gemäß den Wünschen der Unternehmer zugeteilt. Die Arbeitssuchenden selbst scheinen nur mehr als Rohstoff auf. Die Wünsche und Vorstellungen dieser Menschen spielen kaum mehr eine Rolle. Menschen, die der Algorithmus als unbrauchbar klassifiziert hat, werden in einer Art Beschäftigungsprogramm geparkt. Die Lebensvorstellungen, die Lebensziele dieser Menschen sind nicht mehr von Interesse. Sie sind praktisch keine vollwertigen Bürger mehr. Sie sind Waren auf einem unternehmerorientierten Arbeitsmarkt, die maschinell aus dem Lagerbestand abgerufen wird.
Das zyische Spiel der Regenten mit dem Gesinnung der Rechtstaatlichkeit.
Diese Abwertung der Menschen geht dabei vom Auftraggeber des AMS, vom Ministerium, aus. Politisch entzieht man sich über die Kompetenzverteilung jeglicher Verantwortung – bis hin zur Auskunftspflicht über die Vorgänge.
So hat etwa der Verein AMSEL versucht, von den Stellen AMS Auskünfte über die Abwicklung des Algorithmus im AMS – Kundenverkehr zu erhalten. Als Antwort wurden wenige, unbedeutende Details der technischen Realisierung der Software übermittelt (https://arbeitslosenvereinamsel.wordpress.com/2019/12/31/puzzlesteinchen-was-das-ams-zum-ams-algorithmus-bisher-an-die-ealin-lieferte/ ).
Diese Auskünfte ließen aber die zentralen Fragen wie etwa: Welches Widerspruchsrecht haben die Menschen, wieweit werden die Wünsche der Arbeitssuchenden berücksichtigt, welche Daten werden zur Profilerstellung herangezogen, welche Auskunftspflicht hat das AMS bezüglich der gesammelten Daten usw. usw. blieben unbeantwortet (siehe auch: https://arbeitslosenvereinamsel.wordpress.com/2019/10/10/ams-algorithmus-automaten-klassifizieren-menschen/ ) offen, daher hat AMSEL mehrfachen Versucht, diese Daten als Behördenauskunft zu erhalten – allein: Ohne Antwort.
Daraufhin hat AMSEL Beschwerden über Verweigerung und mangelhafte Erfüllung der Auskunftspflicht eingereicht. Auch da erfolgte lange keine Reaktion – weit über die rechtlich vorgesehenen Fristen hinaus. Nach weiteren, mehrfachen Urgenzen beim Bundesverwaltungsgericht kamen dann endlich Beschlüsse – diese bestätigen jedoch die Rechtmäßigkeit der Auskunftsverweigerung und der mangelhafte Erfüllung der Auskunftspflicht durch die bescheiderlassenden, auskunftspflichtigen Behörden. Die Begründungen des Bundesverwaltungsgerichts entsprachen in etwa der Systematik, die ich oben schon unter dem Punkt, wie sich die Politik ihrer Verantwortung entzieht, dargestellt habe: Frage falsch gestellt, an die falsche Stelle gestellt, daher ist die Nichterteilung von Auskünften rechtens (siehe https://www.linkestmk.at/archive/18707 ).
In diesem Vorgang ist die neoliberale, omnipotenten Haltung in allen Facetten zu sehen: Es wird ein Vorgang angestoßen, der rechtlich und aus demokratiepolitischer Sicht höchst bedenklich ist – der Einsatz von DV-Algorithmen zur Beurteilung von Menschen. Die Auskünfte über diesen Vorgang werden dann aber über ein niedriges, technisches Niveau hinaus verweigert. Die Begründung der Auskunftsverweigerung ist dann ein Ergebnis der neoliberalen Struktur des Outsourcing von Verwaltungsaufgaben: Die Anfragen werden von der Unterbehörde (das AMS) nicht beantwortet, weil in der Anfrage auch die Oberbehörde (das Ministerium) adressiert ist – und die Oberbehörde antwortet nicht, weil sie die Details ja an die Unterbehörde ausgelagert hat.
Das Bundesverwaltungsgericht findet es dann ganz in Ordnung, dass der Anfrager einfach keine Antwort bekommt. Gestützt ist dieses Verhalten, wie das Bundesverwaltungsgericht feststellt, auf §1 des Auskunftspflichtgesetz, nach dem die Organe des Bundes nur über ihren Wirkungsbereich auskunftspflichtig sind. Im Konkreten Fall ist das Ministerium nur für die Rahmenbedingungen und das AMS nur für die Umsetzung zuständig. Die von AMSEL gestellten Anfragen über die Motivation und Details der Realisierung kann nun nicht lokalisiert werden. Das Ministerium überlässt es dem AMS und das AMS macht nur was das Ministerium will – wer soll nun über die Motive und Ablaufgestaltung der Vorgänge Auskunft geben?
In diesem Vorgang ist das zu bemerken, was etwa die türkise Regierungsspitze zur Zeit auch auf anderen Gebieten zeigt: Der Sinn des Gesetzes wird negiert – es wird nach formalen Lücken gesucht (die selbst geschaffen wurden).
Das der Regierung nahe Bundesverwaltungsgericht urteilt dann ganz in diesem Sinn – nach dem Buchstaben des Gesetzes: Das Ministerium kann nicht auskunftspflichtig für ihre Unterbehörden sein – auch wenn das Ministerium die Aufträge gibt. Und die Unterbehörde? Das AMS? Wie weit ist das AMS nun Auskunftspflichtig gemäß der Auskunftspflichtsgesetz? Das ist offen.
Dass die jeweilig angefragten Behörden oder Unterbehörden über ihr Teilgebiet Auskunft geben könnten, das wird vollständig ignoriert.
AMSEL hätte gegen die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vor dem Verwaltungsgerichtshof in Revision gehen können – mit einem Prozesskostenrisiko von mehr als 20.000.-€. Das schreckt einen kleinen Arbeitslosenverein und erst recht Einzelpersonen natürlich ab. Somit sichert die Methode des Outsourcen von Verwaltungsfunktionen zusammen mit eng ausgelegten Gesetzestexten durch die Gerichtshöfe die neoliberale Herrschaft wirkungsvoll gegen Störungen von Staatsbürgerseite ab.
Graz, 24.6.2021, W.Friedhuber
(Korrektur 26.6.2021)
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