Auskunftsbegehren über AMAS: Ein Lehrstück vom Salzamt
Seit ca. 3 Jahren versucht der Verein AMSEL detaillierte Auskunft über die Grundlagen und den konkreten behördlichen Ablauf des sogenannten Arbeitsmarkt-Service-Algorithmus in Österreich zu bekommen: Zusammengefasst könnte man sagen: Ein Stück wie von Kafka – oder: Ein Lehrstück vom Salzamt.
Die Vorgeschichte:
Das AMS (Arbeitsmarktservice), ein Serviceunternehmen mit behördlichem Charakter, dessen Arbeitsrahmen durch das Arbeitsmarktservicegesetz von 22.2.1994 (Regierung Vranitsky) geregelt ist, hat für Anfang 2020 den Einsatz eines Algorithmus zur Klassifizierung der Arbeitsmarktchancen (AMAS) von arbeitssuchenden Menschen vorgesehen. Dieses Vorgehen war von Anfang an heftiger Kritik ausgesetzt (siehe etwa: https://awblog.at/ams-algorithmus-koennte-zu-sozialer-ungleichheit-beitragen/).
Unter anderem war und ist unter anderen der Verein Arbeitlslose Menschen suchen effektive Lösungen (AMSEL) sehr aktiv im Zusammenhang mit dem bedenklichen Vorgehen des Ministeriums und des AMS, eine automatische Bewertung der Arbeitssuchenden einzuführen.
Im Zuge dieser AMSEL-Aktivitäten wurden mehrere Anfragen an AMS und Behörde gestellt, um aufzuklären wie nun der reale Einsatz geplant ist und vor allem, wie die Einspruchsmöglichkeiten für die Betroffenen sind.
Dieses Bemühen endete schlussendlich in der Forderung der Außerbetriebsetzung des Algorithmus (siehe http://www.amsel-org.info/Antrag-AMAS.html).
Diese finale Forderung war das Ergebnis dessen, dass ab einer gewissen Grundauskunft keine weitere Auskünfte über die Details des Algorithmus zu bekommen waren (siehe: http://www.amsel-org.info/AMSEL-Aktuell.html: Information über Auskunftsrecht bezüglich des AMS-Algorithmus vom 20.8.2020 ).
Da Anfragen einfach nicht mehr beantwortet wurden bzw. auch die Urgenz unter Hinweis auf die gesetzlichen Fristen von den angefragten Stellen unbeantwortet blieben, reichte AMSEL eine Beschwerde bei der Verwaltungsbehörde ein.
Ergbnis: Berechtigtes Ansinnen, aber falsch gestellt
Diese Beschwerde über die Auskunftsverweigerung wurde nun vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) für die AMSEL abschlägig entschieden (siehe: http://fetzen.net/aalgo/docs/BVwG_BMASGK_AuskPflG_AMS_Algorithmus.pdf). Das Auskunftsbegehren des Vereins AMSEL steht nun in guter Gesellschaft mit dem Datensperrbescheid der Datenschutzbehörde (DSB), der vom BVwG ebenso umgehend aufgehoben wurde, ohne dass die fehlende Rechtsgrundlage, welche die Grundlage des Sperrbescheids war, von der Verwaltung geschaffen wurde (siehe: https://www.linkestmk.at/archive/18033).
Ähnlich wie bei der Aufhebung des DSB-Sperrbescheid ist auch bei der Abweisung der Beschwerde über die nicht – oder verzögert erfolgte Bescheidung des Datenauskunftsbegehrens ein Musterstück, wie Anfragen oder Beschwerden an und über die Verwaltung vom Verwaltungsgericht in der Manier eines Salzamtes entschieden werden.
Die Anfrage an AMS und Arbeitsministerium (die genaue Bezeichnung spare ich mir hier, da die Ministerien schneller umbenannt werden, als ich sie mir merken kann) wurden mit dem Begehr gestellt, die geplanten Entscheidungsgrundlagen und die beabsichtigten Durchführungsdetail zu erfragen. Dies genau deshalb, um beurteilen zu können, ob hier entscheidende Rechte der Arbeitssuchenden in diskriminierender Weise verletzt werden – etwa durch fehlendes Einspruchsrecht. Diese Anfrage erfolgte also genau aus dem Grund, weil sowohl das Ministerium als auch das AMS die zentralen Fragen nicht beantworten konnte oder wollte.
In der Beschwerde über die Auskunftsverweigerung nutzte das Verwaltungsgericht nun genau diese Wissenslücke, um die Beschwerde abzuschmettern. Das Verwaltungsgericht erkennt in seinem Bescheid zwar im Prinzip die Rechtsmäßigkeit der Beschwerde und des Auskunftsbegehrens an „[d]as Auskunftsbegehren ist zwar unübersichtlich aber auf Tatsachenebene […] feststehend“ (Bescheid S.16), aber „[d]ie Verweigerung der geforderten Auskunftserteilung durch die belangte Behörde erfolgte […] zu Recht“ (Bescheid S.15).
Die Begründung, warum die Verweigerung „zu Recht“ erfolgte, ist juristisch gefeilt und und in zahlreichen Unterbetrachtungen eingewoben. Vereinfacht ausgedrückt – nach meiner Interpretation – ist die Begründung wie folgt:
Für die Umsetzung des gesetzlichen Auftrags ist allein das AMS per AMSG zuständig – eine Anfrage an das Ministerium ist daher falsche adressiert (darauf dass das Ministerium gar nicht geantwortet hat, und damit die gesetzlichen Vorgaben gebrochen hat, geht das Verwaltungsgericht gar nicht ein).
Blöd nur, dass das AMS sich bei Anfragen darauf zurückzieht, dass es nur gesetzliche Aufträge erfüllt – so auch beim Algorithmus. Der Verwaltungsgerichtshof erklärt dazu: „Wenn der BF [Beschwerdeführer ist gemeint] die (damalige) Zuständigkeit des BMASGK nach Anhang 2 des BMG ins Treffen führt („Angelegenheiten des Arbeitsmarktes, der Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung sowie Schutz vor gefährlichen Produkten“ [eine zitierte Stelle durch das BVwG aus der Beschwerde], so kommt es, […], auf die Zuständigkeiten laut BMG allein nicht an“ (Bescheid S.14).
Warum es darauf „allein“ nicht ankommt, liegt in der Zuständigkeitsbreite des Ministeriums: Das Ministerium ist eben nur für die strategischen Vorgaben zuständig – und sieht sich damit für die Vorgänge um den Algorithmus nur insofern zuständig, als sie ihn als Verwaltungsvereinfachung beauftragt hat. Der Beschwerdeführer (also AMSEL) begründet aber sein Begehren mit der allgemeinen Zuständigkeit des Ministeriums für diesen Verwaltungsbereich, ohne eine allfällige ministerielle Detailzuständigkeit zu benennen. Es ist für das Ministerium daher unmöglich eine Auskunft zu geben.
Das BVwG will damit darauf hinweisen, dass die Durchführungsentscheidungen, per AMSG geregelt, beim AMS liegen und das Ministerium daher hier nicht auskunftspflichtig sein kann, weil der Zuständigkeitsrahmen des Ministeriums eben nicht die reale Umsetzung umfasst.
Darum Salzamt: Der Anfragende hat eine Informationslücke, die ja durch die Anfrage geschlossen werden sollte und das Verwaltungsgericht entscheidet gegen den Anfrager, weil dieser – aufgrund seiner Wissenslücken – nicht ganz genau die Frage an die ganz genaue Stelle stellt!
Natürlich hat der Entscheid des BVwG auch noch andere Feinheiten, die ev. in juristischen Kreisen intellektuelle Freude bereiten: So wird aus der Kette der Themen „Angelegenheiten des Arbeitsmarktes, der Sozialversicherung einschließlich Arbeitslosenversicherung sowie Schutz vor gefährlichen Produkten“ (ebd.) genüsslich darauf hingewiesen, dass „sich der Konsumentenschutz auf auf dem Markt erhältliche Produkte bezieht, worunter die Nutzung von Algorithmen durch die Verwaltungsbehörde oder ausgegliederte Betriebe wohl nicht zu subsumieren ist“ (ebd.).
Diese Darlegung ist wirklich bemerkenswert: Einerseits weil aus einer Reihe von Bereichen einer herausgepickt wird und die anderen ignoriert werden – und anderseits, weil das AMSG sowie das Auftreten des AMS sehr wohl die Interpretation als „Vermarktung“ zulässt (allein der Begriff „Arbeitsmarkt“ legt schon nahe, dass hier etwas auf dem Markt – Arbeitskräfte nämlich – erhältlich wäre).
Auch hier ist erkennbar, dass, wie schon beim Sperrbescheid, die Verwaltung das was das Ministerium macht, prinzipiell als „rechtens“ beurteilt. Eine Beschwerde bei der Verwaltungsbehörde scheint also nur mehr sinnvoll, wenn sie eine absolute Nebensache betrifft oder wenn sie von der Regierung gegen einen unliebsamen Vorgang anderer gerichtet ist.
Alle Übrigen könnten genausogut zum Salzamt gehen.
Graz, 5.4.2021, W.Friedhuber
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