Ist der Besitzlose in der Demokratie wirklich machtlos gegenüber der Baumafia
Graz hat eine Stadtregierung der Kleinbürger. Bürgermeister ist Siegfried Nagl, ein Geschirrhändler (Geschäft Klammerth in der Herrengasse in Graz). Genau nach solch einem kleinbürgerlichen Krämer-Konzept wird die Stadt geführt: Alles was sich finanziell verwerten lässt, wird verwertet, wenn es nur kurzfristig für einen Wirtschaftstreibenden Gewinn verspricht. Der langfristige Schaden wird nicht berücksichtigt. Der Lebensraum Stadt geht dabei immer mehr verloren – auch für die Geschirrhändler (und der Schuldenstand der Stadt steigt ständig).
Allerdings merken dies diese Tüchtigen erst dann (bzw. es ist ihnen gleichgültig), wenn es zu spät ist – bis dahin wird das Investitionspotential genutzt – auf Teufel komm heraus:
- Zerstörung der geschützten Dachlandschaft
- Bauen im Bauverbot
- Zerstören der gewachsenen Versorgungsinfrastruktur
- Zerstörung der Grünflächen zugunsten von Bauspekulationen
- Vermeiden eines Wegekonzeptes um keine Spekulationseinschränkungen zu haben
- Weitere Zuführung von Autoverkehr in die Innenstadt
Man könnte auch sagen: Heuschrecken sind nicht US-Investoren sondern nimmersatte lokale Profiteure und deren Seilschaften (von der ÖVP als tüchtige Leistungsträger bezeichnet).
Was anderen Ortes längst als verwerflich erkannt wurde, kleinbürgerliches Gewinnstreben sieht da noch Potential:
- Zerstörung historischer Bausubstanz zugunsten einer Tiefgarage – mitten im Altstadtkern (Eisernes Tor).
- Verdichtung der Bausubstanz im gewachsenen Stadt-Kern
- Verbauen von wirklich jeder Grünfläche zugunsten von Spekulationsobjekte.
- Zerstörung jeglicher innerstädtischen Versorgungsinfrastruktur zugunsten von großen Handelsketten für Mode und Luxusartikel.
- Schlangen von Touristenbusse mitten in der Stadt (damit die Touristen es nicht weit zum Klammerth haben)
Kurz: Das Kreieren von immer neuen Schnapsideen und, wenn sie nur idiotisch genug sind (also rein auf ichbezogenen Gewinn für die Baumafia gerichtet sind), eisern daran festhalten (Seilbahn am Murufer, Tiefgarage direkt unter dem Eisernen Tor usw.)
Wenn dann ein Viertel heruntergewirtschaftet ist, schreit man nach Künstlerinnen und Künstlern, nach kreativen Individualisten, die das Viertel wieder beleben sollen (Bsp.: Maria-Hilf, Jakomini, Annenstraße). Gelingt diesen kreativen Individualisten das, steigen sofort wieder die Mieten und die Künstler und Individualisten werden vertrieben.
Zur Bürgerberuhigung von aufgebrachten Bürgerinnen und Bürgern (und als Propagandatrick) werden für die zugepflasterten innerstädtischen Grün- und Erholungsräume Ersatzpflanzungen versprochen und teilweise auch durchgeführt – aber auch hier:
So geplant, dass sie kaum nutzbar sind – reine Alibi-Aktionen; nicht wirklich zur Nutzung für Bürger gedacht. Daher werden sie auch nicht mit Infrastruktur versorgt und in ein Stadtkonzept eingebunden.
Und vor allem: Auch in diesen Ersatzpflanzungen müssen tonnenweise Beton und Bauobjokte eingefügt werden (Schotterbarone, Baumafia und andere Unternehmer wollen ja leben). Dort wo ein Bankerl und ein kleines Wäldchen reichen würde, wird ein Architekten(alb)traum hingeklotzt – unbrauchbar für Entspannung und Erholung (siehe etwa Südgürtel).
Und das Allerschlimmste ist: Die Mehrheit der Grazer Bevölkerung, die wahlberechtigt ist und noch zur Wahl geht, wählt diese Stadtregierung – sogar mit zunehmender Zustimmung!
Protestkundgebungen gegen dieses lebensraumzerstörende Vorgehen der Stadtverwaltung (Verbauung des Pfauengartens, Murkraftwerk mitten in der Stadt, Joanneum-Umgestaltung) werden mit Gerichtsklagen überzogen, mit großen Propagandakampagnen überdeckt und ignoriert.
Es ist zum Verzweifeln!
Eigentlich hätte eine – auch mit Mehrheit – gewählte Regierung (wenn sie schon selbst nicht den Horizont hat, auf die einfachen Menschen Rücksicht zu nehmen) in der Demokratie die Pflicht, auch die Interessen von Minderheiten zu berücksichtigen – noch dazu, wenn sie gut begründet sind.
Nicht in Graz: Selbstherrliches Besserwissertum, kurzfristige Profitinteressen und Seilschaften verwandeln die Stadt in eine Eldorado für Bauspekulanten und in ein touristisches Verkaufsobjekt, wo jeder Quadratmeter mit Zusatzeinnahmen – sei es als Parkplatz (das ist ein Stück Asphalt – und nicht wirklich ein Park) oder Schanigarten am Gehsteig – genutzt wird.
Dass dabei genau das, was die Stadt für Spekulanten und Touristen interessant macht, zerstört wird, das realisieren die kleinbürgerlichen Pfeffersäcke nicht. Sie zerstören das Gewachsene, das Bürgernahe (Steirischer Herbst, Künstlerhaus, Jazz-Sommer, Zeughaus, Joanneum) und versuche statt dessen mit einer – immer aufwendigerer – Eventkultur Ersatz zu schaffen. In ihrer Beschränktheit sehen sie dabei nicht, dass die Eventkultur weltweit schon gut – und vor allem wesentlich attraktiver – besetzt ist.
Aber leider werden die Pfeffersäcke gewinnen. Ist der Lebensraum Graz erst einmal zerstört, werden diese Geschirrhändler um Förderungen zur Geschäftsverlagerung ansuchen – und sie auch bekommen – und ansonsten teure Studien bei ihren Freundinnen und Freunden in Auftrag geben, die erheben sollen, warum die Stadt nicht mehr attraktiv ist.
In tiefer Verzweiflung frage ich mich, wie können sich in so einer (aus der Art schlagenden) Demokratie, die Gehör schaffen, die nicht ausschließlich kurzfristigen Profit im Sinn haben?
Vor ca. 30 Jahren (ich war ca. 30 Jahre alt) hat mir Graz sehr sehr gut gefallen. Es war eine schöne ruhige, kulturatmende Provinz-Stadt. Ich habe geglaubt: Zu meinen Lebzeiten werden „sie“ es nicht schaffen, Graz zu zerstören. Die ÖVP mit Nagl hat mich eines Besseren (oder Schlechteren?) belehrt.
Graz, 17.9.2017, W.Friedhuber
No comments yet.