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Die Aneignung demokratischer Institutionen am Beispiel AMS in Österreich

Bloged in Allgemein by friedi Sonntag Februar 7, 2021

Wie sich die neoliberale Wirtschaftslobby Zug um Zug die Institutionen der demokratischen Administration aneignet, ist in Österreich auch am Umbau des Arbeitsamtes hin zum AMS (Arbeitsmarktservice) zu sehen.

Das Arbeitsamt war einst eine staatlich beamtete Stelle, die für die Auszahlung der Arbeitslosenunterstützung (vulgo Stempelgeld) und für die Berufsberatung zuständig war. Für die Berufsberatung gab es Testbögen, welche die Eignung von Jugendlichen ermitteln sollten um so die Berufswahl der jungen Menschen zu unterstützen. Dieses System hatte natürlich jede Menge Schwachstellen – etwa die Zuweisung von arbeitslosen Menschen zu Ausbildungen in kaum benötigten Berufen  – etwa Tischler.

Auf was es mir hier aber ankommt sind zwei Aspekte dieses alten Arbeitsamtes:

1.) Der Amtscharakter – also die Zuordnung zur allgemeinen Verwaltungsarbeit des Staates – ohne Berücksichtigung von ökonomischen Partialinteressen privatwirtschaftlicher Seite.

2.) Die Fokussierung auf die arbeitssuchende Person und ihren Interessen.

Ich erwähne diese zwei Komponenten, da in diesem Bereich der Einfluss der neoliberalen Wirtschaft auf das modernen Staatswesen gut ersichtlich wird: Die Aneignung von staatlichen Institutionen durch privatwirtschaftliche Kreise.

So wurde das Arbeitsamt durch das Arbeitsmarktservicegesetez (AMSG) 1994 (SPÖ-Regierung Vranitzky III) in ein „Dienstleistungsunternehmen des öffentlichen Rechts“ ( AMSG §1) überführt. Das AMS hat mit dem AMSG die Aufgaben zugewiesen bekommen, einerseits die „arbeitspolitischen Zielvorgaben des Bundesministers für Arbeit“ (ebd. §4) und anderseits „die Versorgung der Wirtschaft mit Arbeitskräften“ (ebd. §29).

In §29 wird auch die Sicherung der „wirtschaftlichen Existenz der Arbeitslosen“ noch genannt sowie „die Förderung der Wiederbeschäftigung von gesundheitlich beeinträchtigten Personen durch Vermittlung auf geeignete Arbeitsplätze“ (ebd.) aufgeführt.

In Summe ist aber die Schwerpunktsetzung auf die Vermittlung von Arbeitskräften an die Arbeitsstellen überall als zentrale Intention zu erkennen (das mag in Zeiten der Vollbeschäftigung auch legitim gewesen sein). Das Arbeitsamt ist damit zu einem Arbeitskräftevermittler geworden. Der Interessensfokus ist nicht mehr die arbeitslos gewordene Person und ihre Bedürfnisse, sondern der Arbeitsmarkt und dessen Anforderungen. Der arbeitslos gewordene Mensch ist zu einer Art industriellen Rohstoff degradiert, der an nachfragenden Stellen vermittelt wird.

Diese Entwicklung – weg vom Arbeitslosen als Mensch mit Interessen und Bedürfnissen – hin zur zuzuteilenden Ressource hat seinen vorläufigen Höhepunkt im sogenannten AMAS (Arbeitsmarkt-Chancen-Assistenzsystem) erreicht. Bei diesem AMAS handelt es sich um ein Verfahren, bei dem mittels eines Computer-Algorithmus die Arbeitssuchenden in drei Klassen eingeteilt werden, denen dann klassenspezifisch Unterstützungen zuteil werden – oder eben nicht. Das Kriterium der Einteilung ist dabei der Bedarf der jeweiligen regionalen Wirtschaft. Anhand des bisherigen Arbeitsleben des Betroffenen errechnet der Algorithmus die Wahrscheinlichkeit, dass in der Region ein Mensch mit solch einem Arbeitslebensverlauf von jemanden eingestellt wird, oder nicht.

An dem Verfahren ist eines charakteristisch: Leitend ist der Bedarf der aktuellen regionalen Wirtschaft.

Dies beinhaltet weitere (von den neoliberalen Regenten beabsichtigte) Implikation:

  • Die AMS-Mittel werden nur investiert, wenn eine mittelfristige Anstellung wahrscheinlich ist.
  • Die Wünsche und Vorstellungen der Betroffenen spielen nahezu keine Rolle.
  • Arbeitslosenkarrieren werden sich aufgrund der sinkenden Wahrscheinlichkeit für eine Anstellung bei wiederkehrenden Arbeitsplatzverlust verfestigen – diese Menschen werden in sozialer Randlage geparkt (früher sagte man „aussteuern“ dazu).
  • Private soziale Verpflichtungen – wie etwa Kindererziehung – wirken sich negativ auf die Anstellungswahrscheinlichkeit und damit auf die Klassenzuteilung aus.

Die Einführung dieses Algorithmus in der von der österreichischen Regierung beauftragten Form ist zutiefst inhuman, da er zum einen die Einteilung automatisch durchführt und zum anderen die betroffene Person lediglich auf ihre Vermarktbarkeit auf dem tagesaktuellen Arbeitsmarkt reduziert.

Der Algorithmus kollidiert zudem mit datenschutzrechtlichen Vorgaben – die aber aufgrund der durch das AMSG errichtete „Zwitterwesen“ eines „Dienstleistungsunternehmen öffentlichen Rechts“ ausgetrickst wird. Ich schreibe bewusst „ausgetrickst“, da die Arbeitssuchenden durch den verbliebenen amtsartigen Charakter des AMS verpflichtet sind, ihre Daten bekanntzugeben; das AMS aber aufgrund seines Dienstleistungscharakters für den Arbeitsmarkt diese Daten nach belieben verwerten darf – und die Betroffen dabei kaum Einspruchsrecht habe oder von der Art der Datenverwendung kaum etwas erfahren.

Eigentlich ist diese Vorgehen auch ungesetzlich. Daher wurde von der Datenschutzbehörde (DSB) 2020 auch ein Sperrbescheid für die Anwendung des Algorithmus erlassen. Die neoliberale Fraktion im Parlament – und damit auch die Regierung – fordert den Einsatz dieses Algorithmus aber nahezu ultimativ. Das AMS beeinspruchte daraufhin den Bescheid der Datenschutzbehörde. Folgsam hob das Bundesverwaltungsgericht den Sperrbescheid auf (siehe auch: https://www.linkestmk.at/archive/18033 ).

An diesem Vorgang ist gut nachzuvollziehen, wie sich neoliberale Kreise die staatlichen Institutionen – bis hin zum Bundesverwaltungsgericht – aneignen: Von der BUWOG, zur GKK, zu den Gemeinden und Bebauungsplänen verliert die Mehrheitsbevölkerung Zug um Zug ihre staatliche Berücksichtigung; sie wird auf die Stufe von Konsumenten, Ressourcen, Verwaltungsmasse degradiert. Institutionen, welche die Lebensinteressen der Menschen vertraten und wahren sollten, werden unter dem Mantel einer Kosteneffizienz in ihrer Grundintention zerstört; Kritiker werden mit einseitigen Expertisen oder medialer Diffamierung mudtot gemacht.

Beim Übergang vom Arbeitsamt zum AMS ist dieser Vorgang zu sehen: Mit dem Argument, den Betroffenen helfen zu wollen, wird das genaue Gegenteil umgesetzt – sogar rechtlich sehr bedenklich. Der Vorgang wird als qualitätsgesichert medial dargestellt, obwohl im Gestaltungsprozess die „Kernkundschaft“ völlig unberücksichtigt bleibt und keine Mitsprachemöglichkeit hat. Die Mitsprache wird nur gewissen Vertretungskreisen gestattet.

Kritikern, etwa des Einsatzes des Algorithmus, wird entgegnet, dass die Erstellung und der Einsatz der AMS-Abläufe qualtitäsgesichert sein, obwohl im Gestaltungsprozess die „Kernkundschaft“ völlig unberücksichtigt bleibt und keine Mitsprachemöglichkeit hat. Der massive Kritik aus unterschiedlichen Richtungen wird entgegengehalten, dass so etwas wie ein Algorithmus eben sinnvoll und zeitgemäß sei und der Algorithmus lediglich die Chancen der Arbeitssuchenden errechnet und ihnen damit hilft – aber die Kritik weitgehend ignoriert (von der Regierung – die sich bei Anfragen im Parlament dumm stellt).

Verborgen bleibt die Klassifzierung, die Kosteneinsparung und die negativen Folgen für die Betroffenen – weil eben das AMS nun zu einer Arbeitskräftevermittlung für die Wirtschaftstreibenden geworden ist.

Natürlich könnte man das auch ganz anders machen: Etwa den AMS-Algorithmus als Serivce für die Betroffenen selbst frei geben; als freies Tool, mit dem sich die Betroffenen ihre Chancen gemäß ihrer Neigungen ermitteln – ohne dass die Daten dann zentral gespeichert würden und die AMS-Unterstützung nicht an den Resultaten der Auswertung hinge.

Aber das will man in der neoliberalen Wirtschaft nicht. Die Wirtschaft herrscht über die Menschen und okupiert auch die demokratischen Strukturen des Sozialsystems, dies ist auch aktuell bei der Ablehnung der Erhöhung des Arbeitslosenentgelts zu sehen: Betriebe und Angestellte in Kurzarbeit erhalten bis zu 90% des Bruttolohns – bei arbeitslos gewordene Menschen will man nur sporadische Einmalzahlungen – dies mit der zynischen Erklärung der neoliberalen Regierungsriege, dass eine finanzielle Besserstellung von armutsgefährdeten Arbeitslosen deren Arbeitsunlust fördern könnte; Unterstützung für die Einen und Nötigung für die Anderen – neoliberale Gesinnung auf Staatseben eben.

Graz, 5.2.2021, W.Friedhuber

siehe auch: https://www.linkestmk.at/archive/17553

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