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[Dworczak] Russland :100 JAHRE OKTOBERREVOLUTION UND DAS LAND HEUTE

Bloged in Allgemein,Revolutionen by friedi Mittwoch Dezember 6, 2017

Rund um die Aktivitäten zum 100jährigen Jubiläum der Oktoberrevolution hatte ich die Gelegenheit 12 Tage im Land zu verbringen. Ich nahm an etlichen Konferenzen in Moskau und St.Petersburg/ Leningrad bzw. einer Demo teil und konnte mich über die aktuelle Lage im Putin-Rußland schlau machen.

MOSKAU

Der russische -undogmatische- Marxist Alexander Buzgalin hatte in Zusammenarbeit mit der Rosa Luxemburg Stiftung, der linken „Alternativy“-Organisation, progressiven Professoren und der WAPE (World Association for Political Economy) die Initiative ergriffen. Unter dem Leitmotiv „Oktober. Revolution. Zukunft“ fanden etliche Konferenzen statt. Die Intention war nach 100 Jahren Roter Oktober -kritisch- Bilanz zu ziehen und vor allem ins Heute und in die Zukunft zu blicken.

Aus dem Reigen der Veranstaltungen, meetings, Aktionen möchte ich nur die wichtigsten erwähnen:
Auf der „Universität für Finanzen und Recht“ fand am 2.November die offiziele Eröffnung statt. Bemerkenswert war eine Ausstellung zur Entwicklung der Kunst zum Thema russische Revolution. Die gesamte künstlerische  Bandbreite wurde dokomentiert: der Futurismus ebenso wie der „sozialistische Realismus“. Weiters wurde ein Erinnerungsbaum gepflanzt und eine Marx-Büste aufgestellt.
Richtig los ging es dann am 3. und 4. November mit einer Fülle von Seminaren, Referaten und Diskussionen, wobei die Wape-Jahrestagung (immer in einem anderen Land- im Vorjahr in Patiala/ Indien) integriert war.
Grob gesprochen kann man die Beiträge in folgende Kategorien einteilen:
– Liberale und neokeynesianische Positionen. Während für Liberale die Oktoberrevolution ein „Fehler“ war, ist der Diskurs der Neokeynesianer in etwa folgender: die Oktoberrevolution hatte schon ihre Meriten, in der Sowjetunion gab es Industrialisierung, Bildung etc. Aber heute gehen Entwicklungsprozesse anders, „kostengünstiger“ (Originalton) von statten, ohne Gewalt, durch Innovation, Digitalisierung. So würden „friedlich Potentiale freigesetzt“.
– unkritische, apologetische bzw. neostalinistische Standpunkte: dem Roten Oktober wird zugejubelt- ohne ihn ernsthaft zu analysieren (1). Schweigen oder Verharmlosung  der gigantischen Verbrechen des Stalinismus. Groteske „Erklärungen“ über das Ende der SU: die bösen Chruschtschow und Gorbatschow betrieben die Konterrevolution… (2)
– einige wenige differenzierte, marxistische Positionen, die auch die Relevanz der Strategie und Taktiken der Bolschewiki für heute beleuchteten. Ich versuchte mich hier einzureihen, indem ich etwa auf deren Positionen in der Kolonialfrage verwies (kein Bündnis mit der „nationalen  Bourgeosie“, maximal gemeinsame antiimperialistische Aktionen) oder  die Notwendigkeit von Massenmobilisierungen (was in Brasilien die PT in der Regierung unterließ oder Syriza in Griechenland, die selbst die 62 %, die gegen Austerität stimmten, nicht nützte)
– die Beiträge der meisten chinesischen TeilnehmerInnen hatten  weitgehend propagandistischen und „diplomatischen“ Charakter:  Präsentation des Projektes „neue Seidenstraße“;  positive Darstellung der Kooperation der BRICS-Staaten, obwohl die Realität eine andere Sprache spricht; Werben  für gute Beziehungen zwischen China und Rußland, wobei sogar dem  „Präsidenten Putin“ Rosen gestreut wurden…
Nach 2 Tagen intensiver Konferenztätigkeit und und spannenden Diskussionen ging es am 5. November in die ehemalige Schokolodafabrik „Oktober“, die 1917 eine wichtige Rolle gespielt hatte- direkt gegenüber dem Kreml. Heute ist die Fabrik ein Kultur- und Veranstaltungszentrum. Mehrere Seminare und eine abschließende Podiumsdiskussion standen auf dem Programm. Richtig erschrocken war ich über den Input von Luciana Castellini – immerhin Gründungsmitglied von „Manifesto“, das sich von der KPI wegen ihres gänzlich reformistischen Kurses  abgespalten hatte.  Strukturell wie Otto Bauer argumentierend, behauptet sie, daß  in Griechenland  „nicht mehr möglich war“. Otto Bauer hatte sich 1918 gegen eine Revolution in Österreich ausgesprochen, weil „dann kein Getreide aus dem Ausland gekommen wäre“.  Castellini  argumentierte , daß die Griechen bei Weiterführung der Kämpfe „ohne  Öl“ dagestanden wären.
                           ST.PETERSBURG/ LENINGRAD
Nach Moskau war von Ausrasten keine Spur. Mit dem Nachtzug ging es  nach St.Petersburg/Leningrad. Dort erfolgte unmittelbar  die Fortsetzung der Debatten in der Lenin-Bibliothek am Newksiprospekt.
Eine zweite Konferenz  fand – hochgradig besetzt- im Gorki-Haus an der Newa statt. Es gab nicht allzuviel fundierte Analysen, dafür Weihrauch für Putin und daß es angeblich  „nunmehr aufwärts geht“. Für den Ökonomen Sergey Bodronov von der Witte- Gesellschaft (3) wurde mit der Revolition  die „Büchse der Pandora geöffnet“- heute dagegen gibt es bessere  „friedlichere, zivilisirtere Wege“  der Veränderung (s.oben).  In meinem Beitrag erinnerte ich u.a. daran, daß die Öffnung der Büchse der Pandora schon weit früher erfolgt war: Kolonialismus, Imperialismus, 1. Wetkrieg;  und fragte -rhetorisch-, wo die Bourgeosie heute wäre ohne ihren Revolutionen 1789, 1830, 1848.  Inhaltliche Schützenhilfe gab es u. a. von dem Soziologen  Zhan Toshchenko: er gab eine ungeschminkte Darstellung der realen Sitution Rußlands, beleuchete Arbeitslosigkeit und weitverbreitetes Prekariat.
                                          DEMONSTRATION
Abgeschlossen wurde der Aktivitäten-Reigen mit einer Demo zum  100. Jahrestags der Oktoberrevolution. Zwischen 3000 und 4000 Menschen auf die Strasse. Die Demo startete beim Finnischen Bahnhof, wo Lenin 1917 aus dem Exil zurückkehrte. Endpunkt der Demo war die „Aurora“, das Schiff, von dem der Startschuss fuer den Sturm auf das Winterpalais abgegen wurde.
Den größten Block in der Demo bildete die KP der Russischen Föderation. Sie wendet sich zwar gegen Sozialabbau und Privatisierungen, ist aber gegenüber Putin & Co. lammfromm. Sie fährt einen stramm stalinistischen Kurs- was auch während der Demo an Hand  ihrer Stalin-Bildern sichtbar war. Ihre Nr. 1, Sjuganow, übt sich nicht nur in unkritischer Verherrlichung der Sowjetunion, sondern gefällt sich auch als Verteidiger der reaktionären orthodoxen Kirche Russlands…
Aus einigen Ländern waren maoistische Organisationen angereist – aus der BRD etwa die MLPD.
Die -kleine- undogmatische russische und internationale Linke (etwa 150 Leute) ging am Ende der  Demo.
GenossInnen aus Russland erklärten, dass 3000-4000 Leute für eine linke Demo in St. Petersburg/ Leningrad nicht so übel sind. Insgesamt zeigte sich jedoch, wie prekär die Lage der Linken in Russland nach dem Fall der SU ist: stark überaltert, wenig junge AktivistInnen, stark segmentiert, ideologisch oft unkritisch retro orientiert.
                              ÖKONOMENTAG
Somit war der Zyklus ad Oktoberrevolution zu Ende. Da ich aber für den 11. November eine Einladung zum „Ökonomentag“ hatte, fuhr ich nach Moskau retour. Ich nützte die Zeit für kulturelle Aktivitäten (u.a. Besuch des Puschkin Museums)  und traf GenossInnen.
Sehr ernüchternd war der Treff mit einem politischen Flüchtling aus der Ukraine: in der West- und Ostukraine (den beiden „Volksrepubliken“) ist Linke am Boden, wird verfolgt und schwer unterdrückt. Oligarchen und Warlords haben das Sagen. Die Linke hat Fehler gemacht und ist ihren Illusionen („gute Chancen“) aufgesessen. Mehr den je wurde in dem Gespräch klar, daß- so schwer das ist- eine gemeinsame Initiative gegen den Krieg, für einen wirklichen Frieden (und nicht bloß fragwürdigen „Waffenstillstand“) und gegen die Oligarchen auf beiden Seiten notwendig ist
Der Ökonomentag fand im Kreml statt. Er  hatt zum Teil geradezu skurrilen Charakter. Ich fuhr mit gemeinsam am Samir Amin hin, der dort ein -kritisches- Referat hielt. Wir wurden in  den VIP-Raum geleitet. Wie in „guten alten Sowjetzeiten“ umarmten sich die Männer, und  küßten sich.
Inhaltlich wurden während der Sitzung weitgehend  Platitüden kredenzt. Im mehrköpfigen Tagungspräsidium gab es keine einzige keine Frau. Dafür wurde dem -in der Bevölkerung ziemlich unbeliebten- Moskauer  Bürgermeistert eine länger Redezeit eingeräümt, wo er verbreiten durfte, „wie schön Moskau ist und noch schöner wird“.
Es kommt jedoch noch dicker. Der Ökonomntag wurde mit einem ein urfaden „Ball“ (auf dem man pikanterweise nicht tanzen konnte) abgeschlossen. Eröffnet wurde der Ball von einer „Prinzessin Romanov“…
                   ERSTES RESUMEE UND AUSBLICK
Abschließend ein -erstes- kleines Resumee:  der  Versuch, mit den Oktoberrevolutions-Veranstaltungen vor allem NACH VORNE zu blicken, gelang nur zum Teil. Relativ wenig junge Leute nahmen teil, AktivistInnen von sozialen Bewegungen  waren nur ganz spärlich/ wenn überhaupt vertreten.
Allgemein politisch läßt sich sagen, daß Putin (nach dem dem besoffenen Jelzin) eine gewisse „Stabilisierung“ gelang. Das Land kommt jedoch ökonomisch nicht vom Fleck. Trotzotz allem Gerede gibt es keine Diversifizierung der Wirtschaft- also weiterhin  die Dominanz von Öl und Erdgas.
Politisch wird autoritär regiert. Die internationalen „Erfolge“ verdanken sich so fragwürdigen Dingenen wie der politischen und militärischen Unterstützung für den syrischen Diktator Assad.
Die Unzufriedenheit im Land hat grassierenden Charakter- ökonomische und soziale Kämpfe sind in diesem JKahr beträchtlich angestiegen. Das allgemeine  -politische- Bewußtsein ist allerdings niedrig, stark nationalistisch durchsetzt. Selbst auf den Konferenzen wurde zur Ukraine, wenn überhaupt, nur gänzlich undifferenziert, apologetisch gesprochen.
Die kleine – v.a. akademische, undogmatische – Linke schwimmt mit enormen Schwierigkeiten gegen den Strom.  Erst wenn sich die  Kämpfe ausdehnen, politischer werden und ein Brückenschlag mit der Linken erfolgt, könnte sich etwas zum Besseren ändern.
                           Hermann Dworczak
(1)  Eine ausgezeichnete  Behandlung der  Oktoberrevolution, ihrer Proble und Widersprüche findet sich bei  Alexander Rabinowitsch Die  Sowjetmacht. Das erste Jahr. Mehring Verlag, Essen 2010
(2) Eine fundierte  Analyse des Endes der Sowjetunion fidet sich bei Felix Jaitner Einführung des  Kapitalismus in Rußland. Von Gorbatschow zu Putin. VSA Verlag, Hamburg 2014
(3) Sergey Bodronow The Coming New Industrial Society: Reloaded. St. Petersburg 2017
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