[AIK] Watschenmann Erdogan
Von der Feindbildproduktion und ihrer herrschaftlichen Nutzung
Erdogan ist kein Guter. Da sind sich alle einig – schwarz, rot, blau und
grün. Und weil wir so demokratisch sind, müssen wir wehrhaft der
Bedrohung von außen entgegentreten. Was liegt also näher als dem
Bösewicht, der es wagt sogar unsere Journalisten einzusperren,
unsererseits zumindest bei uns das Wort zu verbieten?
Doch es gibt viel schlimmere Regime wie Saudiarabien, die Ölmonarchien
am Golf oder die ägyptische Junta mit denen man allesamt beste
Beziehungen pflegt und an sie fest Waffen verkauft.
Es sei daran erinnert, dass auch der Westen präsidentialistische Systeme
kennt, die demokratischen Standards spotten. Das ist einmal Frankreich,
dass zudem den Ausnahmezustand zur Dauereinrichtung gemacht hat. Da ist
die EU, in der es überhaupt kein legislatives Parlament gibt und eine
Wirtschaftselite ganze Mitgliedstaaten ins Elend stürzt und dann unter
Kuratel stellt. Und da sind die USA als De-facto-Wahlmonarchie mit dem
grotesken Detail, dass der Wahlverlierer mit 3 Millionen Stimmen weniger
Präsident werden kann. An der dortigen Todesstrafe soll kein
Freihandelsabkommen scheitern. Und die moderne Sklaverei in Form der
nach Millionen zählenden schwarzen Gefängnisbevölkerung tut der
amerikanischen Funktion als Schutzmacht der Freien Welt und ihrer Werte
keinen Abbruch. Erdogans Ruf nach der Todesstrafe indes ist selbst den
hiesigen Befürwortern des Polizeistaates willkommener Grund gegen die
Türkei zu kampagnisieren.
Woher diese Verve? Warum diese Doppelstandards? Für jeden, der sehen
will, ist offensichtlich, dass die Hasskampagne gegen Erdogan in
Wahrheit gegen die Türkei, die Türken und den Islam geht.
Damit wird einerseits die weitere Einschränkung der grundlegenden
politischen Freiheiten vorbereitet. Selbst wenn Innenminister Sobotka
mit seinen wiederholten Anschlägen auf das Versammlungsrecht nicht
durchkommen sollte, so bleibt doch hängen, dass der Staat Meinung lenken
und unerwünschte Äußerungen unterdrücken soll. Die Hunderttausenden
Türkischstämmigen hierzulange, die vielfach Erdogan unterstützen, mögen
von Amts wegen mundtot gemacht werden. Das ist die wehrhafte Demokratie,
an denen nicht nur die Rechte, sondern auch Kern und Pilz Gefallen
gefunden haben.
Andererseits soll angesichts der aufgehenden sozialen Schere jeder
wissen, wo der Feind sitzt, wer uns bedroht, uns die Arbeit wegnimmt und
vor wem wir Angst haben müssen. Nicht vor den Eliten aus Bankern,
Politikern und Regimemedien nehme man sich in Acht, die unverdrossen
nach Liberalisierung, Lohnsenkung und Sozialabbau schreien und die
Chuzpe haben, den Abbau des politischen Rechtes auf Dissens mit der
Verteidigung der universellen Menschenrechte zu rechtfertigen. Sondern
Erdogan ist der Dämon und hinter ihm die sich radikalisierenden Muslime,
die uns sogar erobern wollten. Wir sind konfrontiert mit der gleichen
politischen, sozialen, kulturellen und psychologischen Struktur gegen
das Andere, die seinerzeit den Antisemitismus hervorbrachte. Doch was
noch schlimmer ist: Heute gibt es sogar eine Querfront der
vermeintlichen Zivilisationsverteidiger von rechts nach links.
Kritik an Erdogan kann nur dann ihren vordergründig demokratischen
Anspruch einlösen, wenn sie die Herrschaft der westlichen Oligarchie
zuerst ins Visier nimmt.
Wilhelm Langthaler
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