Weltsozialforum Montreal: Eine Nachlese
Das Weltsozialforum (WSF), das von 9-14. August in Montreal in Kanada  stattfand, war ein Erfolg- trotz zahreicher Hürden. 35 000 TeilnehmerInnen und  weit mehr als 1000 Veranstaltungen können sich sehen lassen.
siehe auch WSF; hier eine Ergänzung und Nachlese:
ERÖFFNUNGSDEMO
Bereits die Eröffnungsdemo war spektakulär. Rund 20 000  TeilnehmerInnen  zogen vom Park La Fontaine ins Zentrum der Stadt. Unter ihnen:  StahlarbeiterInnen aus Toronto (also aus dem mehrheitlich englischsprachigen  Teil Kandas), UmweltschützerInnen, NGOs wie Attac oder Friends of the Earth,  linke AktivistInnen verschiedenster politischer Strömung, und , und,  und. Bei  der Abschlußkundgebung traten VertreterInnen indiginer Völker auf und es wurde  der vor kurzem ermordeten honduranischen Menschenrechtsaktivistin Berta Caceres  gedacht.
CHINA
Drei ProfessorInnen von chinesischen Universitäten (Beijing und Hongkong)  gaben eine kritische Beschreibung der aktuellen Situation in China. Sie  erwähnten die enormen ökonomischen, sozialen und ökologischen Probleme, die das  Land nach dem „Öffungsprozeß“ in den letzten Jahrzehnten erfährt. Ihre zentrale  Antwort auf auf die gegenwärtige Lage war „Wiederbelebung des ländlichen  Bereichs“. Sie berichteten über die „countryside recovery movement“ und gaben  konkrete Beispiele für die Tätigkeit dieser Bewegung, der sie angehören:  Erziehungs- und kulturelle Projekte, Studien, internationale Kontakte. Der  bekannte ägyptische Sozialwissenschafter Samir Amin etwa nahm an einer ihrer  Konferenzen teil.
In der Diskussion warf ich zwei Fargen auf: 1) Die enorme „Ausdehnung des  Kapitalismus in China“ (Originalton der drei Professorinen) wird von einer  Partei praktiziert, welche den Kommunismus auf ihre Fahnen schreibt- dieser  Widerspruch sollte tiefer analysiert werden. 2) Die strukturelle Verbesserung  der Situation ist absolut notwendig- aber was ist die Stragegie der „countryside  recovery movement“ für die Städte und das gesamte Land?
Um ehrlich zu sein: die erste Frage wurde schlicht umgangen. Die zweite  wurde nur äußerst ungenügend beantwortet: ja, Kontakte zu den Millionen  „WanderarbeiterInnen“, die vom Land kommen und in den Städten oft  unter erbärmlichen Bedingungen leben sind notwendig, es gibt sogar eine Museum  von ihnen, manche von ihnen sind Poeten etc.
Ich hatte in keiner Weise den Eindruck, daß hier eine köhärente Position  entwickelt wird,  die die zahllosen Aktivitäten und Kämpfe auf dem Land und in  den Städten kombiniert.
FRIEDEN
Unter dem Titel „Endloser Krieg: Ist das der Beginn eines dritten  „Weltkriegs“?“ veranstaltete transfom! ein Seminar. Einleitende Statements gab  es u.a. von den SozialwissenschaftlerInnen Phyllis Bennis und Gilbert Achcar,  dem Friedensaktivisten Reiner Braun und dem Europaabgeordneten der deutschen  Linkspartei Helmut Scholz.
Die Seminar war durch zwei Schwerpunkte gekennzeichnet: a) theoretische  Erfassung der gegenwärtigen Periode, der Natur ihrer Krige, die Unterschiede zur  früheren „bipolaren“ Weltordnung; b) Stand der gegenwärtigen  Anti-Kriegsaktivitäten und die Notwendigkeit einer- erneuerten- globalen  Friedensbewegung.
Naturgemäß gab es beim ersten Punkt unterschiedliche Einschätzungen.  Gilbert Achcar brachte wichtige Differnzierungen ein, etwa die- oft umschiffte-  Tatsache, daß es sich bei den BRICS-Staaten um keine einheitliche politische  Formation handelt oder, daß das heutige Rußland in keiner Weise mit  der ehemaligen nichtkapitalistischen Sowjetunion verglichen werden kann.
Etliche TeilnehmerInnen unterstrichen die Notwendigkeit einert unabhängigen  Friedensbewegung, also einer, die sich sich nicht in eine fatale“lager“-Logik  pressenläßt: nach dem Motto, wenn ich den US-Imperialismus und die Nato  bekämpfe, muß ich mit Putin &Co. in einem Boot sein…
BILANZ UND ZUKUNFT DES WSF
Das WSF wurde auch von der Bevölkerung Montreals durchaus freundlich  aufgenommen. Wenn ich mit BewohnerInnen der Stadt ins Gespräch kam und dabei das  WSF erwähnte, stieß ich oft auf positives Interesse. Obwohl sein  fortschrittlicher, ja linker Charakter offensichtlich war, sind mir keine  negativen Zwischenfälle oder Anpöbelungen (wie in unseren Breitegraden durchaus  üblich) bekannt. Offizielle Medien brachten vor und während des Forums Berichte,  selbst Gratiszeitungen wie „metro“ machten Interviews mit OrganisatorInnen bzw.  TeilnehmerInnen des Forums.
Es läßt sich also insgesamt eine positive Bilanz ziehen. Wenn solidarische  Kritik angebracht ist, dann vor allem zu einem Punkt: wie schon so oft gelang es  nicht, sich schließlich auf ein, zwei zentrale Thematiken zu verständigen, die  kampagnenmäßig global VON ALLEN GRUPPIERUNGEN GEMEINSAM umgesetzt werden. Dieses  Manko war auch im Internationaten Rat des WSF zu spüren, der gleich im Anschluß  an das WSF tagte. So konnte zwar nach langem- fomalen- Hin und Her eine  Verurteilung des „kalten Putsches“ in Brasilien durch eine Vielzahl von  Organisationen erreicht werden, für die Organisierung konkreter Aktionen gegen  den Putsch blieb jedoch keine Zeit mehr übrig.
Der nächste  Internationale Rat wird – aller Voraussicht nach- im kommenden  Jänner in Porto Alegre in Brasilien zusammenkommen. Bis dahin und während  seine Tagung wird es einer gründlichen Debatte bedürfen, wie das WSF  wieder kollektiver AKTEUR  werden kann.
Hermann Dworczak

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