[isl-aktuell] Antonio Moscato: Wirkliche Probleme für SYRIZA
Erste Verifizierung: Der erste sozialdemokratische Vertreter, der Tsipras zum Sieg gratuliert hat, Mar¬tin Schulz, gehörte auch zu den ersten, die sich nach Athen begaben. Aber er tat dies, um zu bekräftigen, dass die neue griechische Regierung die Forderungen der Troika akzeptieren muss. Die Weigerung, die Troika anzuerkennen – die der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis gegenüber dem Vorsitzenden [der Euro-Gruppe] Jeroen Dijsselbloem trocken zum Ausdruck brachte –, ist eine Geste der Würde (und der Wahrheit, denn sie betont, dass die Troika von keinem Gesetz oder Statut vorge¬sehen ist), aber sie hat nicht viele praktische Konsequenzen: Tatsächlich repräsentieren sowohl Schulz als auch Dijsselbloem formal Organe der EU, aber sie haben nicht die mindeste Uneinigkeit gegenüber den beiden anderen Bestandteilen der Troika, der EZB und dem IWF. Die Ablehnung der Troika hätte nur dann einen minimalen Nutzen (abgesehen vom propagandistischen Wert), wenn einer der Bestand¬teile Differenzen gegenüber den anderen hätte. Aber dies ist nicht der Fall.
Weit stärker muss auf jeder internationalen Tribüne das Spiel angeprangert werden, das bislang von den drei Organen gespielt wurde, die Griechenland unter Vormundschaft gestellt und ihm eine Medi¬zin verordnet haben, die eine schwindelerregende Zunahme seiner Schulden zur Folge hatte.
Sehr wichtig ist es, die Beispiele bereits erfolgter Schuldenannullierungen zu betonen, wie diejenige, die 1953 zugunsten Westdeutschlands erfolgte. Die enormen Schulden, die teilweise aus der am Ende des Ersten Weltkriegs auferlegten Zahlung der Kriegsschäden beruhten, wurden gestundet und um 50 % reduziert (sie hätten noch bis Mitte der 80er Jahre gezahlt werden müssen!). In diesem Fall wurde implizit zugegeben, dass es sich um eine ungerechte Auferlegung handelte, die auf der unbe¬gründeten Zuweisung der gesamten Kriegsschuld an Deutschland beruhte. Der Zweck dieser Ma߬nahme lag klar auf der Hand: die Erleichterung der wirtschaftlichen Erholung Westdeutschlands, um daraus ein Schaufenster des Kapitalismus zu machen, als deutlicher Kontrast zu einem Ostdeutsch¬land, dem Stalin die Schuld Hitlers vollständig bezahlen ließ, obwohl dort Kommunisten, Linkssozia¬lis¬ten und Antifaschisten verschiedener Herkunft aus anderen deutschen Regionen konzent¬riert waren.
Aber es wäre auch nützlich daran zu erinnern, dass die enormen Schulden, die vom zaristischen Russ¬land bei den Kapitalisten und Finanziers verschiedener Länder, vor allem Frankreichs, zwecks Kriegs¬vorbereitung aufgenommen worden waren, von der UdSSR nicht anerkannt wurden. Sie wurden nicht bezahlt, denn die neue Regierung fühlte sich nicht verantwortlich für die wahnsinnige Aufrüstung, vor allem aber auch, weil es für die Gläubiger tatsächlich unmöglich war, sie einzufordern.
Das CADTM (Comité pour l’annulation de la dette du tiers monde) hat viele Fälle der Nichtzahlung von Schulden dokumentiert, z. B. den bekanntesten und umstrittensten Fall Argentinien oder den Fall Ecuador, an dessen Komitee für die Schuldenanhörung der Hauptvertreter des CADTM, Éric Tous¬saint, teilgenommen hat.
Andererseits hat das CADTM darauf hingewiesen, dass SYRIZA statt Annullierung oder Streichung der illegitimen Schulden gefährlicherweise den Begriff Umstrukturierung verwendet, der einem von den Gläubigern geschaffenen Mechanismus entspricht und in vielen Fällen auf eine für die von der Verschuldung betroffenen Ökonomien und Bevölkerungen rein ungünstige Weise verwendet wird. Es ist besser, sie nicht als Lösung zu propagieren, da sie ein Instrument ist, das die Gläubiger bei vielen Gelegenheiten sehr gut zu benutzen verstanden.
Und dies umso mehr, als die Gläubiger bereits 2012 dieses Konzept der Umstrukturierung der Schul¬den gerade in Griechenland ausschließlich in ihrem Interesse benutzt haben. Damals wurde die Opera¬tion durch die konservative Regierung und die Isolierung Griechenlands, das gegen die Schulden kämpfte, erleichtert; SYRIZA hatte ihren Aufstieg und die Bestimmung ihres Programms kaum be¬gonnen: Auf meiner Webseite [http://antoniomoscato.altervista.org] gibt es etwa 50 Artikel dazu (auf Syriza klicken!), empfehlenswert vor allem Syriza in gioco sowie Grecia, ridurre o cancellare il de¬bito?, worin die nicht einfache innerlinke Debatte dargestellt wird.
Generell zur Frage der Verschuldung gibt es Dutzende Artikel, darunter der scharfsinnige Beitrag von François Chesnais, Debiti illegittimi. Das Hauptproblem ist aber, dass es in der aktuellen Situation praktisch unmöglich ist, diese Frage für ein Land einzeln anzugehen, weil die Front der Gläubiger international ist und obendrein entschlossen ist zu verhindern, dass die Kräfteverhältnisse in einem Land (z. B. heute Griechenland) gefährliche Präzedenzfälle schaffen, und weil es wegen des Fehlens einer verbreiteten Sensibilität zu diesem Thema ziemlich leicht ist, eine feindselige Front gegenüber den Forderungen, die vereinigend wirken könnten, zu errichten. Zum Beispiel lässt in einem Land wie Italien, das schrecklich hoch verschuldet ist und daher logischerweise mit Interesse dem Kampf der Griechen folgen müsste, das Fehlen der Linken Raum für eine Kampagne, die die kleinen Sparer mit Argumenten wie diesem erschreckt: „Wir haben bei den argentinischen Obligationen draufgezahlt und jetzt sollen wir die griechischen Schulden bezahlen.“ Stattdessen müsste man daran erinnern, dass die argentinischen Obligationen von Spekulanten erworben worden sind, um eine Manövriermasse zur Unterstützung der Gläubiger zu schaffen, aber stets mit der Vorspiegelung fabelhafter Zinsen.
Der schwerwiegendste Faktor ist das Fehlen eines Minimums an Sensibilität für diese Themen bei der Linken. […] Daher wird es für SYRIZA schwierig werden, sich den konzentrierten Angriffen zu wider¬set¬zen, wenn es nicht gelingt, in Europa eine Linke aufzubauen, die in Klassenkategorien denkt an¬statt auf chauvinistische und lokalbornierte Weise, und die sich für gemeinsame Initiativen ein¬setzt… und nicht nur Fahnen schwenkt.
Vor allem müssen wir natürlich den Kampf von SYRIZA unterstützen – ohne Überheblichkeit und ohne den Anspruch, über ihre Schritte nach vorn oder ihre Rückzüge, zu denen sie durch ihre Isolie¬rung gezwungen sein kann, zu urteilen. Heute zirkuliert z. B. das Gerücht über einen Schritt rückwärts hinsichtlich des Stopps der Privatisierung des Hafens von Piräus; ein bislang noch nicht bestätigtes Gerücht, doch sollte dies so sein, wäre dies kein Zeichen von Verrat (wie wahrscheinlich die italieni¬schen Bewunderer der KKE behaupten werden), sondern eine Entscheidung, die Themen zu reduzie¬ren, die als prioritär für die Konfrontation angesehen werden. Dasselbe gilt für die Frage der NATO und der Militärausgaben, die schwierig in einem Moment anzugehen ist, in dem sich die Mehrheit der griechischen Bevölkerung auf verschiedene Weise von der türkischen Militärmacht bedroht sieht.
SYRIZA ist allein. Sie kann nicht auf die Unterstützung anderer europäischer Regierungen zählen. Sie kann auch nicht auf eine bedingungslose Hilfe Russlands zählen (aber wenn diese Hilfe, die verspro¬chen worden ist, kommt, würde uns das nicht schockieren: Das Russland von Putin ist kein Referenz¬punkt für Revolutionäre und Revolutionärinnen, es ist aber auch nicht der Teufel). SYRIZA wird nur siegen können, wenn es ihr gelingt, zur Hefe der Wiedergeburt der Linken in Europa zu werden. Wenn es ihr gelingt, den Mindestlohn von 760 Euro zu verwirklichen und die Tarifverträge wiederherzustel¬len, wird dies eine Ermutigung für uns sein (das Programm von Saloniki ist exakt das Gegenteil des Jobs Act [der Regierung von Matteo Renzi]), aber auch für die deutschen Lohnabhängigen, die manch¬mal sogar schlimmere Bedingungen haben als die griechischen. Es wird die Hauptstraße sein, um zumindest einen Teil der 35 % der Ausgebeuteten und Verzweifelten wieder zu gewinnen, die diesmal nicht geglaubt haben, dass es nützlich ist, zur Wahl zu gehen.
Wir werden das Möglichste tun, um diese Erfahrung bekannt zu machen, ohne Mythisierung und ohne Zurückhaltung, indem wir vor allem ihre interne Debatte verfolgen und uns verpflichten, auf jeden Fall ihre Kämpfe zu unterstützen, indem wir ihr helfen, Widerstand zu leisten und vor allem konver¬gierende Bewegungen zu fördern. In Spanien haben sie sich bereits bewegt, mit der großen Kundgebung von Podemos. In Italien sind wir noch ziemlich weit davon entfernt…
31.1.2015
Aus dem Italienischen übersetzt von Hans-Günter Mull
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