Rezension: Inka Mülder-Bach MANN OHNE EIGENSCHAFTEN- Ein Versuch über den Roman
(Buchrezension von H. Dworczak)
„Der Mann ohne Eigenschaften“, an dem Robert Musil bis zu seinem letzten Lebensmoment arbeitete und mit dem er nicht fertig wurde, ist wahrscheinlich der wichtigste Roman eines österreichischen Schriftstellers im 20.Jahrhundert. Obwohl letztlich ein Torso geblieben, enthält er eine überbordende Fülle von gesellschaftlich relevanten Themen. Und das in einer sprachlichen Prägnanz, die ihresgleichen sucht (Karl Kraus ausgenommen- der jedoch bekanntlich keine Romane schrieb).
Nur wenige LeserInnen haben sich an diesen „erratischen Solitär“ herangewagt, die meisten von ihnen sind nicht über die ersten Teile hinausausgekommen oder haben überhaupt kapituliert. Bruno Kreisky hingegen nahm ihn mit ins schwedische Exil.
Der Roman ist aber nicht nur wegen seiner Themen und Figuren (der legendären „Parallel-Aktion“; dem „Lustmörder“ Moosbrugger; der Inzest-Beziehung zwischen dem Protagonisten Ulrich und seiner Zwillingsschwester Agatha etc.) ein literarischer Meilenstein.
Auch seine spezifische Struktur, daß es eben NICHT Powidl ist, in welchem Kapitel was steht/ verschwindet/ wieder auftaucht/ ist ein poetischer Hammer. Genau auf diese „polyphone“ (S. 100) Textur legt Mülder-Bach ihren Finger. Für Musil soll der „Mann ohne Eigenschaften“ “ keine besondere Romanart repräsentieren, sondern sich als „Bildungsroman einer Idee“ auf die Suche nach der Idee der Gattung begeben, den „Roman schlechtweg“ “ (S.174).
Ihre zentrale These ist die der Musilschen Verschränkung von“ „Gesinnung zur Totalität“ und Mikropoesie“ (S.14): Vom ersten Kapitel angefangen, das sich bei oberflächlicher Lektüre bloß wie ein Unfallbericht liest, bis hin zum -nicht erreichten- Fluchtpunkt August 1914, dem Ausbruch des Ersten Weltriegs. Robert Musil selbst: „Krieg: Alle Linien münden in den Krieg“( S.15).
Musil war grundlegend skeptisch gegenüber der Form des Romans. Er bezeichnete/ denunzierte ihn als „Wurstmaschine“ (S. 102). Dennoch hat er sich auf ihn eingelassen. Obwohl kein avantegardistischer Zertrümmerer traditioneller literarischer Formen wie etwa James Joyce im „Ulysses“, hantierte er changierend mit vielem: Reportage, Montage, Essay, usw.- ja der -ironischen- Zitierung der Schreibweise des ancien regime (S. 167 ff) . Nur in dieser Pluralität meinte er die (seine) Zeit adäquat darstellen und kritisch hinterfragen zu können; nicht im – notwendigen- „Wirklichkeitssinn“ stecken zu bleiben , sondern ebenso „Möglichkeitssinn“ ins Spiel zu bringen.
Ich kann den „Versuch“ Mülder-Bachs nur massiv empfehlen. Nach Büchern wie der Musil-Biographie von Karl Corino oder dessen „Musil. Leben und Werk in Bildern und Texten“ glaubte ich „meinen Musil“ ganz gut verstanden zu haben. Das jetzige Buch belehrte mich eines Besseren.
Methodisch schlage ich potentiellen LeserInnen des vorliegenden Buchs ebenfalls eine Art Parallelaktion vor (die ich auch selbst praktizierte): nicht „nur“ den „Versuch“ zu lesen , sondern immer wieder direkt auf den Musilschen Text zu rekurrieren. Mit einem Wort: sich den „Mann ohne Eigenschaften“ -nochmals- zu geben.
Hermann Dworczak (0676 / 972 31 10 )
Inka Mülder-Bach: Der Mann ohne Eigenschaften. Ein Versuch über den Roman. Carl Hanser Verlag , München 2013. 541 Seiten. 35, 90 Euro
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