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Warum meine Zukunftssorgen durch die EU wachsen …

Bloged in Systemalternativen by friedi Samstag Juni 15, 2013

Ist es wieder Zeit, eine Gänsehaut zu bekommen?

In seinem Buch Die Faustkarriere greift Oskar Negt zur Beschreibung des nationalsozialistischen Staatswesen auf die Bezeichnung Doppelstaat, der vom Staatsrechtlers Ernst Fraenkel geprägt wurde, zurück (siehe Negt 2006, S. 112).

„Unter Doppelstaat begreift er [Fraenkel ist gemeint, F.W] Realitätsschichten, die sich zugleich ausschließen und ergänzen. Auf der einen Ebene funktioniert alles normal weiter, es gibt Gerichtsentscheidungen, Verwaltungsakte, Standesämter, sogar Rechtsanwälte, die in alter Weise arbeiten; hier geht alles, wenn auch mit bestimmten Einschränkungen , mit rechten Dingen zu. Die andere Realitätseben zeigt die Permanenz des Ausnahmezustandes; hier gelten Führerbefehle und Maßnahmengesetze. Dieser Doppelcharakter im Staats- und Gesellschaftsaufbau ist nach Fraenkel Wesensmerkmal des Nationalsozialismus.“ (Negt 2006, S. 112)

Nun, wären da nicht die Worte Führer und Nationalsozialismus so wäre das eine Beschreibung des aktuellen Zustands in Europa.

In den einzelnen Staaten Europas gelten Staatsverträge, bürgerliche Gesetze, allgemein gesagt: Der Rechtsstaat.

Diese Rechte können auch bei Gericht eingefordert werden – mit Ausnahme der EU-Sonder-Regelung. Dies sind Regeln, keine Gesetze. Doch, je nach Bedarfsfall werden sie in Verfassungen eingebaut oder in Nacht- und Nebelaktionen in Gesetze umgewandelt oder gelten einfach stillschweigend. Dabei werden EU-Zentralorgane außerhalb jeglicher Gesetzgebung gestellt, praktisch ohne Rechtsgrundlage – aber mit Befugnissen ausgestattet, Diktate zu erlassen, die durchgesetzt werden. Verträge, die von diesen neuen Zentralgewalten abgeschlossen, aber nicht eingehalten werden, sind nicht klagbar. Klagen werden abgewiesen oder im Geheimen behandelt (siehe die Klagen Schachtschneiders http://www.dereckart.at/?p=1037 ).

Negt zitiert in seinem Buch Fraenkel weiter mit der Aussage:

„die beiden im Nationalsozialistischen Deutschland nebeneinander existierenden Systeme, den ‚Maßnahmenstaat‘ und den ‚Normenstaat‘ …“ (Negt, 2006, S. 113)

Nun: Besser könnte das Vorgehen der aktuellen Politik in Europa kaum beschrieben werden. Es gibt nach wie vor einen – sich langsam und unmerklich verändernden – Gesetzesrahmen und es gibt Maßnahmen, die willkürlich gesetzt werden. Ob das der ESM, Schuldenübernahme, Zwangsprivatisierungen, Aufgabe von Neutralität, Stationierung von fremden Soldaten oder Verfassungsänderungen oder ob das „lokale Maßnahmen“ wie das Ausschalten eines Senders sind – es sind Aktionen, die eigentlich nicht Rechtens sind aber eben von der Herrschaft als notwendig erachtet werden.

Negt kommt auf dieses Thema des Doppelstaates im Zusammenhang mit Weimar und Buchenwald zu sprechen. Es liegt mir fern, die EU-Institutionen mit Buchenwald in Verbindung zu bringen, aber die Parallelität der Durchsetzung der EU-Ziele mit dem Thema Philemon und Baucis aus Goethes Faust, das Negt hier analysiert, ist für mich frapant: Die Entfernung der Staatsmacht von den Bedürfnissen der Menschen; der abgehobenen Wille, die eigenen Vorstellungen durchzusetzen, auch wenn Kollateralschäden in Kauf genommen werden müssen; das Aufzwingen von Vorstellungen auf Kosten von Glück und Leben der Individuen – all das wird in der EU-Diktatur aktuell verwirklicht.

Es geht so weit, dass in der Gesetzeslage für moderne Produkte, etwa dem Funktelefon, die Vertragslage umgedreht wird. Die Telekommunikationsanbieter liefern unbestellte Dienste an Unmündige und lassen dann die Eltern dafür haften. Die Gesetzesvertreterinnen und Vertreter sind inzwischen schon so gewöhnt an solche Erosion des klassischen Rechts, dass selbst Konsumentenschutzorganisationen nichts Ungewöhnliches daran finden.

Mir ist klar, dass der rechtlich abgesicherte Betrug nicht auf die gleiche Stufe gestellt werden kann wie Buchenwald – obwohl ich bei Themen wie Pestizide, Gentechnik, Reaktortechnik usw. da gar nicht so sicher bin – aber ein Grundsatz der antifaschistischen Bewegung lautet: Wehret den Anfängen.

Natürlich ist bei diesem Spruch individuelle Wiederbetätigung gemeint und der abzuwehrende Feind sind Jugendliche, die provokant auftreten.

Ich möchte aber die gesellschaftliche Ebene ansprechen, dass Wiederbetätigung für mich nicht das Brüllen von Parolen ist, sondern die Einstellung zum Leben, das Menschenbild das man hat. Rechtsradikalität bedeutet für mich, dass ich meine Interessen über die Interessen der übrigen Bevölkerung stelle, dass ich meine Werte den Anderen aufzwinge – und diese Tendenz ist in der EU, die sich ausschließlich marktwirtschafltichen Interessen verpflichtet fühlt, aus meiner Sicht vermehrt gegeben.

War die Montanunion und auch die EWG noch auf Handelsabkommen gewisser Branchen beschränkt, so hat die EU einen neuen Dimension erreicht, in der die Wirtschaftsinteressen die bürgerlichen Gesetzesbücher verändern. Die EU muss sich damit zentral der moralisch-gesellschaftlichen Frage stellen – und dazu gibt es aktuell keine Anzeichen.

Wenn – etwa Telekommunikationsunternehmen – legal Kinder abzocken dürfen, obwohl es eine Kleinigkeit wäre, Dienste nur auf Bestellung von vertragsmündigen Personen frei zu schalten, wenn die EU ihr Recht auf freien Handel auch gegen den Willen breiter Bevölkerungsschichten durchdrückt – wie es etwa in Oberösterreich bei Gentechnik versucht wurde, wenn die Kapitaleigner basierend auf dem Privatrecht überall den Lebensraum nach Willkür zerstören dürfen, dann schließt sich hier das Faust-Drama in der Darstellung bei Negt nahtlos an:

„Gottlos ist er, ihn gelüstet
Unsre Hütte, unser Hain;“
(Faust II, 11131-11132, zitiert nach Negt, 2006, S. 112)

Auch bei Goethe hat Faust nur die besten Absichten und will die beiden Alten, die in einer Mooshütte wohnen, „im Gefühl großmütiger Schonung“ (Faust II, 11348, zitiert nach Negt, 2006, S. 98) in eine moderne Wohnung umsiedeln, aber die Umsiedlungsaktion endet damit, dass Philemon und Baucis in ihrer Hütte verbrannt werden.

Damit komme ich zu meiner einleitenden Befürchtung zurück. Negt schreibt:

„Das Problem Buchenwald setzt so viel früher an, nicht erst beim Machtwechsel 1933.“ (Negt, 2006, S. 113)

Wie wahr!

Und damit muss eine Gemeinschaft, ein Staat, ein Staatenverbund zuallererst eine tolerante, auf den Menschen hin ausgerichtete Gesetzgebung haben. Wenn inhumane Richtlinien, wie etwa ökonomische, die Gesetzgebung bestimmen, dann kann uns Buchenwald wieder heimsuchen. Tendenzen dazu sind in der Argumentation in Presse und Alltag auch wieder deutlich hörbar:

Wenn von den Faulen in den Hängematten, von den Schmarotzern und Nichtsnutzen gesprochen wird,
– wenn verlangt wird, dass hart gegen Asylbetrüger und Betrügerinnen, gegen Arbeitsscheue vorgegangen wird;
– wenn eine starke Hand gefordert wird;
– wenn rasche Entscheidungen ohne nutzlose Diskussionen als Lösung geboten wird;
– wenn die Gesellschaft die Verpflichtung sozial zu sein, aufgibt und bei den Bedürftigen zu sparen beginnt, um den Wohlhabenden zu geben;
– wenn der Staat wieder zu einem Doppelstaat (vgl. Negt, 2006, S. 114) wird,

so ist es Zeit, eine Gänsehaut zu bekommen!

Graz, 15.6,2013, W. Friedhuber

Literatur:
Negt, Oskar (2006): Die Faustkarriere. Vom verzeweifelten Intellektuellen zum gescheiterten Unternehmern. Göttingen: Steidl Verlag.

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