[Gewerkschaftsforum Hannover] Carnegie-Umfrage zur Stimmung in der Ukraine
Mit dem Vorstoß seiner Elitetruppen in Richtung Kursk auf russisches Staatsgebiet und der jüngsten Umbildung seiner Regierung, die bei seinen NATO-Partnern und Finanziers zum Teil nicht gut ankam, wollte der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj seinen Truppen und seiner Bevölkerung Mut machen und dem Krieg „neue Energien“ verleihen.
Das dürfte sich jedoch als schwierig erweisen, denn die Mini-Invasion nach Russland könnte sich alsbald als seine Ardennen-Offensive erweisen und die Stimmung im Lande kippt zunehmend.
Noch ist die Mehrheit zwar nicht für einen sofortigen Frieden und auch zum Verzicht auf die von der russischsprachigen Minderheit bewohnten Gebiete im Donbass, die unter dem rechtsradikalen Kiewer Regime Menschen zweiter, wenn nicht dritter Klasse wären, ist nur gut ein Drittel bereit. Doch die Ergebnisse der Umfrage, die von der angesehenen, 1910 gegründeten, Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace (Hauptsitz in Washington DC) durchgeführt wurde, dürften den Kriegstreibern der „westlichen Wertegemeinschaft“ gar nicht gefallen.
Die linksliberale italienische Tageszeitung „il Fatto Quotidiano“ hat sie in einem heute erschienenen Artikel zusammengefasst.
(Italienischsprachiges Original: https://www.ilfattoquotidiano.it/2024/09/10/il-sondaggio-aumentano-gli-ucraini-favorevoli-a-negoziare-con-la-russia-i-giovani-e-i-soldati-piu-pessimisti-sullesito-del-conflitto/7687614/ )
Hier folgend unsere Übersetzung ins Deutsche.
Mit antimilitaristischen Grüßen,
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„il Fatto Quotidiano“ 10. September 2024
Umfrage: Zunehmend mehr Ukrainer für Verhandlungen mit Russland sind
Junge Menschen und Soldaten sehen den Ausgang des Konflikts pessimistischer.
Redaktion
Der Anteil der Ukrainer, die die Aufnahme von Verhandlungen mit Russland zur Beendigung des Krieges befürworten, wächst. Es ist zwar nicht die Mehrheit, aber doch ein erheblicher Teil. 43 % der vom Forschungszentrum Carnegie Endowment for International Peace befragten Ukrainer (bei einer Stichprobe von 2000 Personen aus allen Regionen des Landes) antworteten mit „Ja“ auf die Frage „Sind Sie für Verhandlungen mit Russland?“. 54 % antworteten mit „Nein“. Der Prozentsatz ist im Vergleich zu den Vorjahren gestiegen, schreibt das Institut.
Die Befürwortung einer diplomatischen Lösung bedeutet jedoch nicht, dass die ukrainische Seite Gebietsverluste in Kauf nimmt oder auf russische Forderungen eingeht. In der Tat lehnen 83 % der Ukrainer die Reduzierung der militärischen Kapazitäten der Ukraine ab und damit eine der russischen Verhandlungsforderungen im Jahr 2022. Ein Teil der Befürworter von Verhandlungen möchte auch den Rückzug der russischen Armee zumindest aus einem Teil des Gebiets: Nur 35 % der Befragten sind mit einem sofortigen Waffenstillstand an der derzeitigen Frontlinie einverstanden.
Die Umfrage zeigt deutliche Unterschiede zwischen den Altersgruppen der Bevölkerung. Die über 60-Jährigen sind im Allgemeinen optimistischer, was den Ausgang des Krieges angeht, und weniger bereit, zu verhandeln. Junge Menschen hingegen sind pessimistischer.
Jüngere Ukrainer (vor allem die unter 35-Jährigen) sind tendenziell pessimistischer, was die Aussichten der Ukraine auf einen Sieg angeht, und eher bereit, begrenzte Kriegsergebnisse zu akzeptieren.
Nur 40 % der 18- bis 25-Jährigen sind der Meinung, dass die Ukraine so lange kämpfen sollte, bis ihr gesamtes Territorium bis zu den bei der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 festgelegten Grenzen befreit ist, während bei den über 60-Jährigen der Prozentsatz der Befürworter bei 60 % liegt. Der Hauptgrund für den jugendlichen Pessimismus ist, dass es die jungen Menschen sind, die den Krieg führen müssen. In dem Land, das sich im Krieg befindet, gilt für die über 25-Jährigen eine Wehrpflicht, die die Regierung von Präsident Selenskyj kürzlich geändert hat.
Diese Diskrepanz zeigt sich deutlich in der Frage der Unterstützung für eine weitere Mobilisierung im Land: 72 % der Ukrainer über sechzig Jahren sind für eine weitere Mobilisierung, während der Prozentsatz bei den Unter-45Jährigen auf etwa 50 % sinkt. Bei der letztgenannten Gruppe besteht natürlich eine größere Wahrscheinlichkeit, eingezogen zu werden. Jüngere Ukrainer sehen wahrscheinlich auch, dass der Krieg ihr Leben stört und sich auf alles auswirkt: von den Berufsaussichten bis hin zu Entscheidungen, ob und wann sie eine Familie gründen oder ob sie in der Ukraine bleiben wollen.
Eine weitere mögliche Erklärung für die Kluft – schreibt Carnegie – liegt in der Mediennutzung. Ältere Menschen neigen dazu, sich im Fernsehen über den Krieg zu informieren, also den staatlich geführten ukrainischen Einheitssender „United News“ zu schauen. Junge Menschen nutzen vor allem Telegram und YouTube und haben so Zugang zu einem größeren Pluralismus in der Berichterstattung über aktuelle Themen.
Ein anderer Tenor ist bei den Veteranen und den Soldaten im aktiven Dienst zu beobachten. Diejenigen, die in den ukrainischen Streitkräften gedient haben oder dienen, sind im Allgemeinen pessimistisch, was die Zukunft der Kämpfe anbelangt, aber gleichzeitig sehr entschlossen, den Konflikt fortzusetzen. In der Carnegie-Umfrage glauben die Soldaten am wenigsten daran, dass die Ukraine den Krieg gewinnt (nur 32 % beantworteten die Frage mit Ja), und die Hälfte glaubt nicht, dass der Krieg in weniger als zwei Jahren beendet sein wird (eine trockene Quote von 50 %). Gleichzeitig glauben die Kiewer Soldaten am ehesten, dass die Ukraine so lange kämpfen sollte, bis ihr gesamtes Territorium bis zu den Grenzen von 1991 befreit ist (67 %), was darauf hindeutet, dass ihre pessimistischere Einschätzung des Krieges, die zweifellos durch ihre persönlichen Erfahrungen geprägt ist, nicht zu einer Akzeptanz von begrenzteren Kriegszielen führt.
(Übersetzung: Gewerkschaftsforum Hannover. Fette Begriffe wie im Original.)
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