[engagiert Neutral] Neutralität im 21. Jahrhundert: Newsletter
[M]it dem Beitritt zur EU haben wir uns verpflichtet, an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU mitzuwirken. Welchen Nutzen und welchen Spielraum die Neutralität noch hat, ist eine entscheidende Frage der österreichischen Außenpolitik.
Nachstehend finden sie einen Bericht sowie Links zu Videoaufzeichnungen und weitere Unterlagen zum österreichisch-schweizerischen Symposium, das sich mit der Neutralität im 21. Jahrhundert beschäftigt hat.
Engagiert Neutral – Sicherheit oder Risiko?
Bericht zum Österreichisch-Schweizerisches Symposium in Vorarlberg
Am 6. Juli haben sich in Bregenz erstmals Vertreter aus Österreich und der Schweiz zu einem Gedankenaustausch über die Zukunft der Neutralität getroffen. Das Symposion begann mit drei Vorträgen und endete mit einer Podiumsdiskussion.
Texte, Folien und Videolinks zum Symposium finden sie auf der Seite engagiertneutral.at.
Basisvortrag Risikobild 2024 von Brigadier Gunther
Globale Risiken und Herausforderungen
China verfolgt eine moderate strategische Leitlinie mit Respekt vor territorialer Integrität als Voraussetzung friedlicher Koexistenz. Es strebt nach wirtschaftlicher und militärischer Großmacht, investiert massiv in die Neue Seidenstraße und möchte die Unabhängigkeit in der Hochtechnologie und Kommunikation sicherstellen. Die Spannung zwischen den USA und China, insbesondere in Bezug auf Taiwan, birgt großes Eskalationspotenzial. Taiwan an eine westliche Allianz zu verlieren ist für China unannehmbar.
Der Ukraine-Krieg hat erhebliche Auswirkungen auf Europa und erschüttert die globale Ordnung. Russland nutzt die nukleare Komponente zur Abschreckung. Das Verhältnis zwischen Russland und China ist pragmatisch und von einer strategischen Partnerschaft geprägt. Sie ist und wird aber keine Allianz. Der Ukraine-Krieg erhöht die nukleare Bedrohung, aber sie bleibt kalkulierbar. Neue Technologien wie Cyber- und Elektronische Kriegsführung beeinflussen die Strategie der nuklearen Abschreckung.
Cyber-Angriffe und die Automatisierung von Waffensystemen gewinnen an Bedeutung. Es besteht Unsicherheit über die internationale Rechtslage in Bezug auf Cyber-und KI-Kriegsführung.
Klimapolitik ist eine moralische Verpflichtung und wirtschaftliche Notwendigkeit und ist eine globale Herausforderung Eine grüne EU allein reicht nicht aus, um die Herausforderungen des Klimawandels gemeinsam mit Umweltzerstörung, Überfischung, Verlust der Biodiversität und Bevölkerungswachstum zu bewältigen. Diese Faktoren dynamisieren sich gegenseitig und haben enormes Potential zur Destabilisierung. Der Kampf um Ressourcen wird sich verstärken.
Risiken und Herausforderungen im europäischen Umfeld
Der Ukraine-Krieg birgt großes Eskalationspotenzial zwischen EU und Russland. Er ist weder durch die Ukraine noch durch Russland zu gewinnen. Eine diplomatische Lösung ist dringends notwendig, aber es mangelt an politischem Interesse den Konflikt einzufrieren. (Friedenspolitik ist Politik des Interessensausgleichs). Der Nahe/Mittlere Osten ist durch ungelöste Konflikte und geopolitische Dynamiken instabil. Der Einfluss von Großmächten wie USA, China und Russland wächst und wird zum entscheidenden Faktor für eine Stabilisierung. Auch Afrika ist von entscheidender strategischer Bedeutung für Europa, leidet aber unter den Auswirkungen des Klimawandels und politischer Instabilität. Der Einfluss von China und Indien sowie das Bevölkerungswachstum sind Faktoren, die auf die europäische Politik in Afrika Einfluss haben.
Risiken und Herausforderungen für die EU
Europas Nähe zu instabilen Regionen erfordert eine eigenständige Strategie. Hybride Bedrohungen und die Destabilisierung durch Russland und andere autoritäre Systeme nehmen zu. Die EU ist stark von externen Wirtschaftsfaktoren abhängig, was ihre strategische Resilienz beeinträchtigt. Es besteht daher ein dringender Bedarf an einer gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik sowie an institutionellen Reformen innerhalb der EU. Europa benötigt ein neues strategisches Narrativ, um in einer zunehmend interessengeleiteten Welt seine Werte zu verfolgen und durchzusetzen.
Risiken und Herausforderungen für Österreich
Hybride Bedrohungen mit geringer strategischer Vorwarnzeit sind neue Formen der Bedrohungen von hoher Wahrscheinlichkeit. Aber Migration, Polarisierung der Gesellschaft, Klimawandel, Bevölkerungswachstum, Terrorismus und organisierte Kriminalität bleiben als ständige Herausforderungen bestehen. Österreich muss dringend eine strategische Kultur entwickeln. Die Neutralität Österreichs darf keine ideologische sein, sondern sollte sich an den strategischen Entwicklungen der EU orientieren.
Vortrag von Willy Wimmer (per Video zugeschaltet)
Er sprach vom Nutzen neutraler Staaten in der Konfliktlösung. Er betonte, dass die Neutralität in der Vergangenheit eine wichtige Rolle spielte und dass sie auch in Zukunft gebraucht werden wird. Als Beispiel führte er die Teilnahme neutraler Soldaten in den friedenserhaltenden Missionen an. Seine Schlussfolgerung war eindeutig. Neutrale Staaten haben einen Platz in einer europäischen Friedensordnung.
Vortrag der Vertreter der Schweiz
Marco Jorio spannte den Bogen von den Anfängen der Neutralität um 1500 bis zur Jetztzeit. Neutralität muss immer wieder neu gestaltet werden, um dem sicherheitspolitischen Umfeld gerecht zu werden. Die Neutralität ist ein außenpolitisches Instrument und kein Selbstzweck. Je dominanter Machtstrukturen sind, desto schwieriger ist die Aufrechterhaltung einer glaubwürdigen Neutralitätspolitik.
Das Imperium Romanum lehnte zum Beispiel die Neutralität vollkommen ab. Wer nicht für Rom war, war gegen Rom. Heute stellt sich wiederum die Frage nach der Gestaltung der Neutralität im Rahmen der sicherheitspolitischen Realität des 21. Jahrhunderts.
Dominik Knill beleuchtete die aktuelle Diskussion in der Schweiz. Während man im 20. Jahrhundert nur von der Neutralität sprach, verwendet man heute unterschiedliche Adjektive, wie integral, differenziell, wertebasiert, engagiert oder kooperativ, um die verschiedenen Spielarten der Neutralität zu beschreiben. Die Schweiz hält als einziges Land das Haager Abkommen als rechtsverbindliches Neutralitätsrecht aufrecht.
Die Neutralitätspolitik ist jedoch nicht an diese Rechtsnormen gebunden. Sie umfasst alle Maßnahmen die ein neutraler Staat im Krieg und ein dauernd neutraler Staat bereits im Frieden über seine neutralitätsrechtlichen Verpflichtungen hinaus trifft.
Die kooperative Neutralität beruht auf drei Säulen. Sie ist bewaffnet, sie ist wertebasiert und sie kooperiert in sicherheitspolitischer und humanitärer Hinsicht. Mit anderen Worten, die Zeit des über allen Weltproblemen schwebenden schweizerischen Neutralitätsengels ist vorbei. Eine wertebasierte Neutralität ist nicht wertneutral. Sie orientiert sich am Völkerrecht und an der humanitären Verantwortung.
Podiumsdiskussion moderiert von Gabriele Matzner
In der Diskussion, die unter reger Beteiligung der Teilnehmer stattfand, haben sich In vielen Punkten Übereinstimmungen ergeben:
- Die Neutralität ist nach wie vor von sicherheitspolitischem Nutzen.
- Ein Beitritt zur NATO wird nicht angestrebt. Allerdings ist die Kooperation mit der NATO im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden sinnvoll, um falls nötig gemeinsam operieren zu können.
- Die Neutralität bietet gegenüber einem in eine Militärallianz eingebunden Staat, mehr eigenständige Handlungsmöglichkeiten für eine aktive Friedenspolitik.
- Die Neutralität muss wehrhaft sein. Der Neutrale muss sicherstellen, dass sein Territorium zu Erde und in der Luft von Kriegsparteien nicht genutzt werden kann.
- Engagierte oder kooperative Neutralität ist nicht wertneutral, sie ist dem Völkerrecht verpflichtet, das sich seit der Kodifizierung der Haager Landkriegsordnung weiter entwickelt hat.
Österreich ist durch die Mitgliedschaft in der EU in seiner Neutralität mehr eingeschränkt als die Schweiz. Keine Teilnahme an Kriegen, kein Beitritt zu Militärallianzen und keine Stationierung fremder Truppen in Österreich wird seit dem Beitritt zur EU als Kernbestand der Neutralität betrachtet. Diese passive Auslegung der Neutralität wird den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht gerecht.
Video zur Podiumsdiskussion anschauen
Initiative Engagierte Neutralität
Die Initiative Engagierte Neutralität stellt den Nutzen der Neutralität für den Weltfrieden in den Vordergrund. Engagierte Neutralitätspolitik ist aktive Friedenspolitik auf der Grundlage des Völkerrechts und des Ausgleichs von Interessen. Mit diplomatischem Geschick angewendet ist sie ein spezifischer Beitrag zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Sie kann im Einklang mit dem Gründungsgedanken der EU und den gültigen EU-Verträgen wichtige Anregungen für eine friedliche Lösung von Konflikten setzen. Der Spielraum für eine engagierte Neutralitätspolitik darf bei einer künftigen Änderung der Verträge nicht eingeschränkt werden. Die Abschaffung der Einstimmigkeit wäre das de facto Ende der Neutralität.
Günther Greindl, Präsident Verein Aufbruch Österreich
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