[Brunath] Essay: Ein Jahrhundert der Kriege
Ein Jahrhundert der Kriege oder dessen Vermeidung durch die nukleare Abschreckung
11.3.2024 Rainer Brunath, Hamburg
Europa – einst das strahlende Vorbild für viele Nationen – bewegt sich rasch auf die geopolitische Bedeutungslosigkeit und auf den Verfall zu. Der immer noch reiche europäische Markt ist es wert, dass man ihn nutzt, doch das Entscheidende in Bezug auf Mittel- und Westeuropa ist die moralische und politische Entkopplung von Russland. Nach der Absage an das Christentum1, verliert die EU nun auch die Früchte des Zeitalters der Aufklärung – den Rationalismus. Die Eurokratie weist auf Geheiß von außen – den USA – Chancen, die Russland anbietet, zurück.
Damit wird für Russland das Gerede von der Wiedererrichtung eines europäischen Sicherheitssystems eine gefährliche Schimäre. Das hat die Staatsführung in Moskau sehr wohl erkannt und arbeitet nun an Systemen der Zusammenarbeit und der Sicherheit im Rahmen des Kontinents der Zukunft – Großeurasien, wobei in den Reden der russischen Politiker immer wieder die Einladung an Europa eingeflochten wird, den Interessen der eigenen Bevölkerung zu folgen und sich dem Raum im Osten nicht zu verschließen.
Die „Festung Russland“ wird ein Höchstmaß an Nichteinmischung in Konflikte beachten müssen, die mit dem schon erkennbaren einsetzenden „geostrategischen Erdbeben“ folgen werden. Sichtbar ist das an den armenisch-aserbaidschanischen und israelisch-palästinensischen Konflikten. Ein Fehler wäre es, das wie in der Ukraine zu wiederholen, wenn in Nachbarländern antirussische Eliten an die Macht kommen oder diese Länder von außen durch bunte Rebellionen destabilisiert werden.
Russland hat, als es seine aktive Militäraktionen in der Ukraine gegen den Westen einleitete, sicher nicht damit gerechnet, dass der Feind einen großen Krieg entfesseln würde. Daher blieb aus russischer Sicht die atomare Drohung zunächst unausgesprochen. Selbst heute ist Russland damit sehr zurückhaltend. Aber in dieser Frage ist Russland vielleicht schon an einem Scheideweg und die Frage steht im Raum: „Bleibt es dabei?“ Wenn ja, besteht die Aussicht, dass der Aggressor – der Westen – ungestraft bleibt und er sogar Wege für neue Aggressionen findet. Damit würde Russland den Weg für den weiteren Tod von Hunderttausenden offen halten.
Was also könnte die Alternative sein?
Die Grundlage der Abschreckungsstrategie sollte nicht vergessen werden. Die Seite mit dem größeren konventionellen, menschlichen und wirtschaftlichen Potenzial profitiert davon, wenn die Rolle der nuklearen Abschreckung reduziert wird, und umgekehrt. Der verstärkte Rückgriff auf die nukleare Abschreckung und das beschleunigte Voranschreiten auf der Eskalationsleiter sollte den Westen davon überzeugen, dass er im Falle des militärischen Konflikts in der Ukraine drei Optionen hat: Die erste ist, sich in Würde zurückzuziehen. Die zweite ist, besiegt zu werden, zu fliehen (wie aus Afghanistan) und eine Welle von bewaffneten, auch extremistischen, Flüchtlingen aufzunehmen. Oder – drittens – das Gleiche wie bei zweitens zu bekommen, aber nur mit Atomschlägen auf seinem Territorium und dem damit einhergehenden Zusammenbruch der Gesellschaften.
Schauen wir uns die Geschichte an: Zar Alexander I. mit Michail Kutusow und Michael de Tolly in den Jahren 1812 bis 1814 besiegte die Seite mit dem größeren konventionellen, menschlichen und wirtschaftlichen Potenzial. Der Ausgang ist bekannt: der Wiener Kongress. Dann besiegte Josef Stalin mit Georgi Schukow, Iwan Konew und Konstantin Rokossowski erneut eine paneuropäische Armee, geführt von Hitler, die ebenfalls mit dem größeren konventionellen, menschlichen und wirtschaftlichen Potenzial antrat. Das Ende: Stalin zur Konferenz in Berlin. Und die NATO in ihrer Gesamtheit besitzt ebenfalls das größere konventionelle, menschliche und wirtschaftliche Potenzial. Ausgang: noch offen. Aber wie ging der dritte Krieg Karthagos aus? Was also bleibt Russland für eine Möglichkeit, um dieser Drohung zu entkommen? Eine glaubwürdige und verlässliche nukleare Abschreckung und ein Sicherheitspuffer auf dem Territorium der Westukraine sollten die Beendigung der westlichen Aggression garantieren. Die militärische Sonderoperation wird also bis zum Sieg fortgesetzt werden müssen. Die EU und die NATO sollten erkennen, dass die legendäre russische Geduld ein Ende haben wird, wenn man sich nicht zurückzieht – auch um das eigene Fell zu retten.
Russland wird also die nukleare Abschreckung glaubhaft in Gang setzen. Damit kann es die Aggressoren einschüchtern und auch der gesamten Menschheit einen unschätzbaren Dienst erweisen. Es gibt keinen anderen Ausweg, um weitere Kriege und einen großen thermonuklearen Konflikt zu verhindern.
Die russische Politik geht öffentlich von der Tatsache aus, dass die NATO ihr ein feindlich gesinnter Block ist, der sich durch seine bisherige Politik als aggressiv erwiesen hat und mit den Menschen der Ukraine einen Krieg gegen Russland führt. Es scheint, dass man in Moskau nicht endgültig ausschließt, dass jegliche (auch nukleare Präventiv-)Schläge gegen die NATO moralisch und politisch gerechtfertigt sind. Dies gilt in erster Linie für die Länder, die aktiv an der Unterstützung der Kiewer Junta beteiligt sind. Die alten und vor allem die neuen Mitglieder des Bündnisses sollten sich darüber im Klaren sein, dass ihre Sicherheit nach dem Beitritt zum Block drastisch geschwächt wurde und die herrschenden Kompradoreneliten sie an den Rand von Leben und Tod gebracht haben.
Die Liste der Ziele für konventionelle und nukleare Vergeltungsschläge ist mit Sicherheit in Arbeit und auch schon teilweise veröffentlicht. Die westliche globalistische Oligarchie scheint aber die Androhung eines Vergeltungsschlags selbst auf eigenemTerritorium ihrer eigenen Länder nicht wirklich zu beeindrucken. Vereinfacht gesagt, kümmert sie sich nicht einmal um das Wohlergehen ihrer eigenen Bürger und lässt sich auch nicht durch Verluste unter ihnen abschrecken.
Deshalb werden von Moskau sicher auch jene Orte als Ziele der ersten Welle, sogar präventiver Vergeltungsschläge anvisiert, an denen sich diese Oligarchie versammelt. Die globalistische Oligarchie oder der „tiefe Staat“ sollte erkennen, dass es für sie keine Arche Noah und seine fromme Familie der Rettung geben wird.
Wird das der Fall sein?
Man steckt nicht drin in den Köpfen von verbohrten Idioten. Aber nur so kann es gelingen: die Idioten müssen um die eigene Existenz fürchten. Dann kann es geschehen, die anrollende Welle von Konflikten und somit ein Jahrhundert der Kriege und ihre Eskalation bis zur globalen thermonuklearen Ebene zu verhindern.
Deshalb scheint Russland die nukleare Abschreckung unabhängig vom Krieg in der Ukraine massiv auszubauen. Dazu gehört auch, nicht überrascht zu sein, wenn das Land die Atomwaffentests wieder aufnimmt. Und Russlands Nichtverbreitungspolitik für Atomwaffen wird dort wohl auch früher oder später diskutiert werden. Historisch und philosophisch gesehen hat nach Hiroshima der überraschend schnelle Besitz der UdSSR von Atomwaffen sogar den Frieden gefördert. Erschreckend ist es, sich vorzustellen, was passiert wäre, wenn die UdSSR und dann China keine Atomwaffen besessen hätten.
Die verstärkte Nutzung der nuklearen Abschreckung ist also bereits notwendig, um die verblendeten europäischen „Staatsführer“ abzukühlen, die von der Unvermeidbarkeit eines Zusammenstoßes zwischen Russland und der NATO sprechen und zu militärischen Vorbereitungen aufrufen. Diese Schwätzer und ihre Zuhörer müssen daran erinnert werden, dass im Falle eines Krieges zwischen Russland und der NATO in Europa von den vielen europäischen Mitgliedsländern in den ersten Tagen nach dem Ausbruch des Konflikts nur wenig übrig bleiben würde.
Natürlich birgt die Weiterverbreitung von Atomwaffen auch Risiken. Aber im Zusammenhang mit der begonnenen globalen Unordnung und Umverteilung sind sie viel geringer als die Risiken, die durch die Schwächung der nuklearen Abschreckung entstehen.
Und sicherlich sollten einige Länder dauerhaft und entschieden daran gehindert werden, auch nur annähernd in den Besitz eines Atomwaffenarsenals zu gelangen. Deutschland, das zwei Weltkriege und einen Völkermord ausgelöst hat, würde dann zu einem legitimen Ziel eines Präventivschlags werden und einfach ausgelöscht werden, wenn es nach der Atombombe greift. Und zum Unglück Deutschlands haben die Mächtigen im Land dessen ungeheuerliche Geschichte vergessen und man provoziert geradezu revanchistisch und als europäischer Hauptsponsor des Krieges in der Ukraine, dass diese Strafe vollstreckt wird.
Wenn es aber Russland gelingt, die nächsten zwei Jahrzehnte zu überleben und ein weiteres Jahrhundert des Krieges zu vermeiden, wie es das 20. Jahrhundert, insbesondere die erste Hälfte, war, wird die Menschheit in einer bunten, multikulturellen und viel gerechteren Welt leben können.
1 Deutsche Politiker gehen auf den Papst los. Der Papst hat mit seiner Forderung an Kiew, „Mut zur weißen Fahne“ zu zeigen, die deutsche Politik in Wallung gebracht. Es gibt scharfe Kritik, unter anderem von den als Hardlinern bekannten Politikern Roderich Kiesewetter und Katrin Göring-Eckardt.
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