Wer ist die schweigende Mehrheit und was will sie?
Heftige Proteste gegen die Israel-Politik, Klima-Kleber auf der Straße, Proteste gegen die Umwelt-Zerstörung – aber sind das nur laute Minderheiten und die schweigende Mehrheit steht hinter der Politik eines Nehammers und eines Koglers? Will die Mehrheit tatsächlich einen Ost-Westkonflikt oder die Profite aus der Grundstücksumwidmung zulasten des Klimas?
Diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten. Den UNI-Umfragen oder den Mainstream-Medien ist in diesen Fragen nicht wirklich zu trauen, da die Umfrage-Settings und die Interessenlage der Auftraggeber unbekannt bleiben.
Versucht man selbst zu einem Bild zu kommen, so hängt dieses Bild stark vom jeweiligen Milieue ab, aus dem man sich informiert. Zusätzlich muss jede dieser Informationen in sich auf Plausibilität geprüft werden. Das Ergebnis solch einer Prüfung hängt wirderum vom eigenen Weltbild ab. Ein wirklich objektives Bild ist also kaum als Information erhältlich. Lediglich die Wahlen schaffen hier ein Faktum – aber es ist kein befriedigendes Faktum.
Meinen Versuch, mir ein Bild über die Stimmungslage zu machen ist sehr heterogen verlaufen. Die ideologische Mitte habe ich versucht aus den Leserbriefen einer konservativen Zeitung abzuleiten und die Ränder aus Blogs von Aktivistengruppen.
Der Mainstream:
Leserbriefe der Kleinen Zeitung vom 19.12.23 zum Thema Orbán und EU-Veto:
Zur Vorgeschichte der Leserbriefthemen an diesem Tag:
Die EU-Verträge sehen vor, dass in sensiblen Bereichen im EU-Rat Einstimmigkeit herrschen muss. (siehe etwa: https://eur-lex.europa.eu/DE/legal-content/glossary/unanimity.html)
Der Sinn dieser Klausel war der, dass in der EU nicht die Interessen der großen Staaten einfach über die Interessen der kleineren Staaten überflügeln.
Nun wendet Viktor Orbán, Ministerpräsident von Ungarn, im Falle der Abstimmung zu der eminent wichtigen Frage, ob die Ukraine trotz Krieg, trotz Korruption und trozt katastrophaler Wirtschaftslage als EU-Beitrittskandidat geführt werden soll. Vernünftiger Weise ist Orbán dagegen.
Wie sind nun die Reaktionen in den Leserbriefen?
Da schreibt ein Herr DI Herbert Adolf: „Mir kommt Orbán vor wie ein Hund, der immer wieder in die Hand des ihn Fütternden beißt.“
Kann das wirklich die überlegte Meinung eines gebildeten Menschen sein? Oder ist das das Ergebnis einer medialen Meinungsmanipulation?
Da handelt ein Ministerpräsident im Sinne seines Landes, und eigentlich auch im Sinne der EU-Verträge, und will einem Beschluss nicht zustimmen. Genau dafür wurde das Einstimmigkeitsprinzip ja geschaffen, dass nicht eine interessengeleitete Mehrheit über das Wohl eines Landes stimmt. Und dann vergleicht das der Leserbriefschreiber den Ministerpräsidenten mit einem Hund, der die Hand beißt! Wie kommt dieser Herr zu dieser Anschauung. Ist dieser Leserbriefschreiber der Meinung, das Vetorecht ist nur Vertragsausschmückung, darf aber nicht angewendet werden? Oder will der Leserbriefschreiber Ungarn, weil es Nettoempfänger vonm EU-Geldern ist, das Mitbestimmungsrecht absprechen?
Ein Herr Dr. Walter Rehorska etwa beginnt seinen Leserbrief wie folgt: „Putin schnippt mit den Fingern – und es ist Krieg. Orbán plärrt ‚Veto‘ – und die EU ist lahmgelegt.“
Hier ist die Verbindung mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine und dem Veto besonders perfid, da sie nichts miteinander zu tun haben. Das Veto Orbáns ist sein vertraglich verbrieftes Recht – der Einmarsch der Russischen Föderation und der Vorstoß auf Kiew ist ein Bruch des Völkerrechts. Der Leserbrief geht in diesem untergriffigen Ton weiter – alles mit der Tendenz: Orbán soll kein Veto einlegen.
Ich habe hier absichtlich zwei Leserbriefe von akademisch gebildeten Menschen genommen, um zu zeigen, dass es nicht die bildungsferne Schicht ist, die hier fragwürdig argumentiert.
Ja – es gibt auf dieser Leserbriefseite auch Beiträge, die sich vorsichtig ablehnend gegen das Vorgehen der EU äußern. So weist ein Herr Franz Strasser darauf hin, dass ein Land im Krieg kaum die Ressourcen hat, zusätzlich noch die Beitrittsverhandlungen und die Systemanpassungen durchzuführen. Er kommt zum Schluss: „Der Zeitpunkt der Beitrittsgespräche kommt vermutlich um Jahre zu früh.“
Wenn ich die Leserbriefe der Kleien Zeitung vom 19.12.23 heranziehe, so ergibt sich keine klare Mehrheit. Leserbriefe, die gegen das Veto Orbáns gerichtet waren halten sich in etwa die Waage mit jenen, die gegen den Ukraine-Beitritt gerichtet sind. Ein Unterschied besteht jedoch: Die Leserbriefe, die gegen Orbán gerichtet sind, sind untergriffiger. beleidigender und faktenferner als jene die gegen den Ukrainebeitritt sind. Für mich ein Hinweis, dass hier Beeinflussung im Spiel ist. Die Leserbriefe, die das Veto Orbáns kritisieren, kritisieren nicht aufgrund von Fakten, sondern aufgrund von medialer Stimmungsmache.
Würden Fakten zählen, müsste man eher fragen, warum Österreich nicht auch sein Veto eingelegt hat, weil: Zum Vorteil Österreichs ist ein EU-Beitritt der Ukraine sicher nicht – noch dazu, wo die Ukraine aktuell wohl kaum die Beitrittsbedingungen erfüllt. Der Ukrainebeitritt ist eine us-strategischer Schachzug, zu dem die EU genötigt wird.
Hier scheint die Frage nicht nach einer schweigenden Mehrheit oder so zu bestehen, sondern nach den Auftraggebern. Die Vorgänge laufen nach Szenarien auf der Hinterbühne der Politik ab. Treten die Vorgänge ins Licht, sind sie schon längst beschlossen und werden nur mehr durch eine Meinunglenkung und Politgetöse begleitet. Im Falle Orbáns war es dann ja auch deutlich zu sehen: Man schickt den Mann bei der Abstimmung einfach aus dem Saal. Demokratiepolitisch eine Katastrophe.
Also das Bild das sich für mich aus dem bisherigen ergibt: Es melden sich die zu Wort, die von einer vorbereiteten Campagne am stärksten emotionalisiert sind. Was die schweigende Mehrheit denkt, ist nicht zu ermitteln.
Was ist nun aber auf Seiten der Aktivisten?
Da zeigt sich das erstaunliche Phänomen, dass sowohl der linke als auch der rechte Rand die gleichen Vorgänge der Regierenden kritisieren. Kritisiert wird in Österreich der Neutralitätsverlust, die Kriegstreiberei, die NATO-Hörigkeit, das Fehlen der Armutsbekämpfung, die Preissteigerung usw. usw. Wer sich dazu eine Meinung bilden will, der sei etwa auf
die Seite der Solidarwerkstatt,
des Selbstbestimmten Österreichs,
deS Antiimperialistischen Lagers
der Gewerkschafter*innen gegen Atromenergie und Krieg
aus dem linken Spektrum verwiesen.
Von rechter Seite etwa
Initiative für Heimat und Umwelt.
Sowohl von linker als auch von rechter Seite werden die gleichlautenden Proteste gegen die aktuelle Politik erhoben. Ob diese ideologischen Ränder gemeinsam eine Mehrheit bilden, ist unklar bis zweifelhaft. Das im konservativen Blatt thematisierte „Problem“ Orbán existiert hier in der Form nicht. Die EU wird, ob ihres immer diktatorischeren Vorgehens sowohl von links als auch von rechts angegriffen. Die Kritik ist in allen Publikationen wesentlich faktenorientierter als in den Leserbriefen der konservativen Zeitung. Die Kommentare in den linken Blogs – etwa in Lost in Europe oder in Nachdenkseiten sind im allgemenen weniger hetzerisch und sachlicher als in der Kleinen Zeitung. Die Kommentare in den alternativen Medien lasse eher den Schluss zu, dass die Main-Stream-Medien Teil einer angeordneten Meinungsbildung sind und nicht die Meinung der Mehrheit wiedergeben – auch nicht in den Leserbriefen.
Zieht man die alternativen Medien und die dort hinterlegten Kommentare dazu, so kommt man zu dem Schluss, dass die Regierenden längst nicht mehr die Bevölkerungen vertreten. Die Vorgänge bei Wahlen in Eruopa – speziell in Deutschland mit der AfD- zeigen, dass die „schweigende Mehrheit“ ihr Heil wieder vermehrt bei einfachen Alternativen sucht. Während die Regierenden – egal welcher Partei – noch immer glauben, ihre von wem auch immer aufgetragenen Agenden erfüllen zu müssen scheint sich die „schweigende Mehrheit“ schon längst abgewandt zu haben. Auch noch so teure Meinungsbildungskampagnen werden die Bevölkerung nicht mehr auf ihre Seite ziehen zu können. Es scheint, die „schweigende Mehrheit“ ist längst schon bereit, ihre Gefolgschaft aufzukündigen, sobald auch nur die geringste Hoffnung auf ein Alternative besteht. Die aktuellen Regenten sind also gut damit beraten, keine Alternativen aufkommen zu lassen – was sie ja auch versuchen: Verbote, Verbote, Meinungseinschränkung, Strafdrohung usw.
Die „schweigende Mehrheit“ ist längst schon genauso kalt gestellt wie die Randgruppen-Aktivisten. Selbst wenn die vermeintlichen Alternativen (etwa AfD oder FPÖ) in die Regierung käme, würde ihr kaum etwas anderes übrig bleiben, als die Hegemonialagenden wie bisher weiter zu führen. Die GRÜNEN sind ein gutes Beispiel dafür – sie waren ja einmal eine Alternative …
Graz, 20.12.23, W.Friedhuber
ich bin mir nicht sicher, dass der einmarsch im dombass ein bruch des völkerrechts wäre. der marsch auf kiew wurde ja recht schnell rückgängig gemacht………..
Trackback by kurt strohmaier 21. Dezember 2023 19:23
Der Vorstoss auf Kiew war ein klarer Bruch der Sicherheitsordnung (und des Völkerrechts?). Er erfolgte ohne Kriegserklärung und praktisch ohne direkten Anlass – es war ein Überfall.
Die Vorgänge im Donbass sind ev. anders zu beurteilen – machen aber den Überfall nicht ungeschehen – auch nicht die Tatsache, dass der Überfall gescheitert ist und abgebrochen wurde.
Trackback by Friedi 22. Dezember 2023 09:29