[R.Brunath] Essay über Europas Unvermögen zu einer rationalen Politik
Die zwei Seiten des Wagenknecht-Schwarzer-Manifestes
Essay von Rainer Brunath, Hamburg, 19.2.2023
Für ihr Manifest für Frieden erhalten die beiden Initiatorinnen Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht weiten Zuspruch aber auch Kritik, z.B. sie wären die 5. Kolonne Putins. Außerdem unterstellt man den beiden, sie würden die Ukrainer schutzlos Putins Bomben überlassen wollen und dagegen würden nur Waffenlieferungen helfen. Somit begingen Wagenknecht und Schwarzer Verrat an den Ukrainern und Ukrainerinnen polemisiert der ehemalige ukrainische Botschafter in Deutschland und aktuelle Vizeaußenminister Andrej Melnyk.
Damit heizen die Sprecher für solche „Argumente“ die Emotionalisierung der Debatte an und vernebeln den Verstand. Schon der deutsche Philosoph Kant mahnte: „… habe den Mut dich deines Verstandes zu bedienen“. Fände das statt, stünde nicht infrage, wer das ukrainische Volk tatsächlich verrät: Es ist Melnyk, der sein Heimatland aus unerfindlichem Grund zu einem Vasallen der EU und vor allem der USA machen will. Er ist bereit ist sein Volk für die geopolitischen Interessen eines anderen Landes zu opfern.
Warum ist es so schwer, zu begreifen, dass Melnyk und Selenskij nicht die vitalen Interessen der Ukrainer vertreten, und statt dessen die Ukraine zum Schlachtfeld machen, auf dem der Westen, vor allem die USA, seine geopolitischen Interessen kriegerisch durchsetzen will. In deren Fußstapfen treten all jene, die meinen, mit weiteren Waffenlieferungen würde man es Putin heimzuzahlen. Das ist zutiefst unmoralisch und sündig, denn aus solcher Argumentation spricht lediglich der Wunsch nach Rache für eine angeblich erlittene Kränkung und der Nazi-Niederlage 1945. Dabei stört den Vertretern solcher Argumente noch nicht einmal ihre eigene Bigotterie. Man lässt sich zwar von den USA in die Schranken weisen, wie das beredte Schweigen zu dem US-Kriegsakt auf Nord Stream zeigt, aber den Russen will man es zeigen.
Wagenknecht und Schwarzer fordern einen Stopp von Waffenlieferungen, fordern Verhandlungen und ernten auch Gegenwind durch Propaganda aufgehetzte, emotionalisierte aber unwissende Medienkonsumenten. Brav haben die beiden Frauen sich sogar dem deutschen Medienmärchen angepasst und sprechen von vergewaltigten Frauen und verängstigten Kindern. Vielleicht glauben sie es sogar selbst. Also auch Wagenknecht und Schwarzer setzen auf Emotionalisierung anstatt den Verstand einzuschalten.
Das verweist auf ein großes Problem in der deutschen / europäischen Diskussion über den Konflikt. Er wird nicht rational, sondern über Gefühle geführt. Warum schafft man es nicht, die Gefühle aus und den Verstand einzuschalten. Folgen wir Kant und fragen ganz einfach: Wer hat in diesem Konflikt welche wirtschaftlichen und finanziellen Interessen? Wäre ein Sieg der Ukraine über Russland nützlich für Deutschland? Ist das überhaupt erreichbar und zu welchem Preis? Und zu guter Letzt: ist das Medienmärchen glaubhaft, Russland würde Deutschland schlucken wollen. Stattdessen befasst man sich mit Waffenlieferungen, mit Rache und dem bösen Russen. Auf diesem Niveau der politischen Diskussion ist man in Deutschland angekommen. Das ist einfach dumm.
Wer aber Rationalität ausklammert, erhält auch keine befriedigend Antwort, sondern nur eine, die auf Emotionen beruht – auf Wut, auf Hass, dem Wunsch nach Rache, nach Bestrafung. Und das geht schief, muss schief gehen. Schlimmer noch, mit diesem Geisteszustand ist Deutschland für eine Lösung dieses Konfliktes wertlos. Selbst das zu erkennen, von dieser Erleuchtung, ist der Deutsche Bild-ARD-ZDF-Süddeutsche Zeitung-FAZ-Spiegel-Konsument himmelweit entfernt. Die Haltung, westliche Werte (keiner kennt die!) und Freiheit gegen Autokratie und Diktatur gegen Russland verteidigen zu müssen ist naiv und sie findet sich nicht nur am Biertisch, sondern auch im politischen Establishment. Das ist erschreckend.
Was dem Aufruf von Wagenknecht und Schwarzer gut getan hätte, wenn die beiden nicht nur appelliert sondern auch berichtet hätten, z.B. über:
die Menschenrechte in der Ukraine
Das UNHCR 1 veröffentlicht pro Jahr zwei Berichte über die Lage der Menschenrechte in der Ukraine. In diesen Berichten wird die Ukraine seit 2014, als sie nach dem Maidan in den Augen der westlichen Medien und Politiker demokratisch geworden ist, scharf kritisiert. Das UNHCR kritisiert weiter, dass die Verbrechen der Maidan-Zeit (Todesschüsse des Maidan und Tragödie von Odessa) bis heute nicht aufgeklärt werden.
Auch die Lage von Minderheiten in der Ukraine wird kritisiert, egal ob es um ethnische oder sexuelle Minderheiten, oder politisch Andersdenkende oder gar regierungskritische Journalisten geht. Sie alle leben in der heutigen Ukraine gefährlich. Und das sagt nicht die böse russische Propaganda, das sagt das UNHCR.
die deutschen Mainstream-Medien,
die das alles verschweigen seit dem Maidan 2014. Der Spiegel hat über das russische Ziel, die Ukraine zu entnazifizieren, nach Beginn der russischen Intervention in der Ukraine geschrieben (Hervorhebungen wie im Original):
„Unter den vielen Propagandamärchen, die Putin und sein Regime den eigenen Bürgerinnen und Bürgern auftischen, ist jenes von der angeblich notwendigen »Entnazifizierung« der Ukraine wahrscheinlich das Schlimmste. So irrwitzig wurden die Tatsachen selbst in der Sowjetunion selten verdreht. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der jetzt von Putins Häschern gejagt wird, ist Jude.“
Dass Selensky ein Jude ist, ist für Spiegel-Leser ein starkes Argument, wenn auch irrelevant, denn die Leser wissen von all den oben aufgeführten Fakten ja nichts. Sie wissen nichts davon, dass ukrainische Kinder in staatlich subventionierten Ferienlagern lernen, dass man russische „Untermenschen“ erschießen muss, welche Symbole die ukrainische Armee trägt, sie wissen nichts von politischen Morden, von Sprach- und Rassengesetzen und all den anderen Dingen, die nicht nur Russland, sondern auch das UNHCR kritisiert.
Und jetzt kommen wir an den Punkt, zu fragen, welche Wirkung das Manifest für den Frieden mit seiner Forderung nach sofortiger Waffenruhe und Friedensverhandlungen letztlich für die US/NATO haben wird. Und da sind die Aussichten trübe, weil das Manifest ein nützliches Propaganda-Element zur Rechtfertigung der Fortführung des Krieges gegen Russland werden könnte. Grund: mit wem will Russland überhaupt verhandeln? Wem kann es vertrauen? Alle auf westlicher Seite an diesem Krieg beteiligten Parteien haben wiederholt bewiesen, dass man ihnen nicht über den Weg trauen kann.
Selbst auf Seiten der hartgesottensten Kriegstreiber in US/NATO-Kreisen muss das Interesse an einem Waffenstillstand irgendwann wachsen angesichts weiterer Kräfteverschiebungen auf dem ukrainischen Kriegsschauplatz zugunsten Russland, begleitet von dem unaufhaltsam zunehmenden Munitionsmangel der Ukrainer und der wachsenden Gefahr, dass die Front der ukrainischen Armee an mehreren Stellen einbricht und die Auflösungserscheinungen innerhalb der ukrainischen Streitkräfte zunehmen. Ganz abgesehen von gewaltsamen Protesten in der Ukraine.
Es ist davon auszugehen, dass die Neocons und Falken in Washington das voraussehen und sich heimlich auf die Schulter klopfen, nämlich dann, wenn die russische Armee dem nationalistischen und faschistischen Treiben in der Ukraine endlich ein Ende bereiten könnte. Sie werden dann einen Waffenstillstand fordern und unsere Medien stellen dann den Bezug her zu den Forderungen im Manifest für den Frieden. Russland wird in solcher Lage Waffenstillstandsverhandlungen benutzen, was zu erwarten ist, seinerseits Forderungen zu erheben. Und dann haben wir das Szenario, das der Westen haben will: die Russen sind wieder an allem schuld, und dann stehen Wagenknecht und Schwarzer mit ihrem Manifest und alle anderen Waffenstillstandsforderungen in einer Reihe mit den US- und NATO-Kriegstreibern.
Die Tatsache, dass Russland mit seinen „ehemaligen westlichen Partnern“ endgültig gebrochen hat, unterstrich gerade vor Kurzem der ständige Vertreter Russlands im UN-Sicherheitsrat, Wassili Nebensja. Er erklärte dort, die westlichen Länder hätten gezeigt, dass sie nicht daran interessiert seien, „gemeinsam mit Russland ein System der europäischen und euro-atlantischen Sicherheit aufzubauen“, sondern nur eines, das gegen Russland gerichtet sei. Und in Bezug auf Vertrauen sagte er unter Verweis auf Minsk II: „Wir glauben Ihnen nichts mehr.“
Und die Deutschen? So lange man aber in Deutschland glaubt, Russland führe einen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine, russische Soldaten würden in barbarischer Weise vergewaltigen und brandschatzen, so lange man an die Mär vom wilden Iwan glaubt, hat man in Deutschland den Konflikt nicht verstanden und kann daher auch nichts zu seiner Lösung beitragen. Und es sieht danach aus, dass man das in Berlin auch nicht will.
1 UNO-Flüchtlings-Agentur
Essay als PDF: Die zwei Seiten des Wagenknecht-Schwarzer-Manifestes
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