[Armutskonferenz] 19 Punkte für eine bessere Mindestsicherung
Ja – die schwarz-grüne Regierung hat ständig anderes zu tun, als Armut in Österreich zu bekämpfen – daher ist es gut, wenn die Armutskonferenz diese Agenda im Auge behält.
Schon der grüne Minister hat vor über 2 Jahren die Armutsbekämpfung als Schwerpukt gesetzt – ist dann aber nicht dazu gekommen, diesen Schwerpunkt zu bearbeiten. Herr Anschober ist nicht mehr Minister und die Armutsbekämpfung gerät in Vergessenheit – eher im Gegenteil: Minister Kocher will Maßnahmen welche die Erwerbsarbeitslosen noch mehr unter Druck setzen. Nicht ganz ohne Absicht wurden ja anscheinend die Arbeitslose und die Mindestsicherung nicht infaltionsangepass (siehe: https://www.meinbezirk.at/c-wirtschaft/sozialleistungen-werden-wohl-nicht-an-inflation-angepasst_a5378725).
Die Armutskonferenz schreibt:
Das unterste soziale Netz muss die Würde von Armutsbetroffenen respektieren und dieTeilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Ziele eines modernen sozialen Netzes sollten sein:
-
- Grundrechte statt Almosen,
- Chancen statt Abstieg,
- sozialer Ausgleich statt Spaltung,
- Achtung statt Beschämung.
Wir brauchen eine neue Mindestsicherung, die Existenz, Chancen und Teilhabe sichert.
Mit 19 Punkten listet das Armutsnetzwerk auf, was notwendig wäre:
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- Wohnbedarf absichern – tatsächliche Miete übernehmen
Übernahme der tatsächlichen, ortsüblichen Wohnkosten (unter Einrechnung einer eventuellen Wohnbeihilfe). Die Übernahme von Anmietungs- und Ausstattungskosten sind wesentliche Grundlagen zur Armutsbekämpfung. Energiekosten müssen dem Wohnbedarf zugerechnet und abgedeckt werden. - Mindeststandards für Kinder erhöhen und einheitlich gewähren
Die Mindeststandards für alle Kinder müssen gleich hoch sein, egal in welcher familiären Konstellation. Die Höhe der Leistung darf nicht davon abhängen, wie viele Geschwister ein Kind hat. - Teilhaberechte für Menschen mit Behinderungen garantieren
Sicherung des Lebensbedarfs von Menschen mit Beeinträchtigungen außerhalb des jetzigen Sozialhilfe-Regimes. - Rechtsansprüche auf Sonderbedarfe
Erhöhter Regelbedarf, z.B. durch Erkrankung oder besondere Lebenslagen (kein alltäglicher Bedarf, z.B. Geburt eines Kindes) - Tatsächliche Deckung des Lebensunterhalts gewährleisten
Anhebung der Mindeststandards, orientiert an der Armutsgefährdungsschwelle.
Jährliche Valorisierung der Mindeststandards am Anfang des Jahres.
Recht auf Sonderzahlungen für alle Leistungsbezieher*innen der Mindestsicherung/Sozialhilfe
absichern. - Rechtssicherheit gewährleisten
Zur Ausweitung der Rechtssicherheit müssen hoheitliche Ansprüche ausgebaut werden.
Privatrechtliche Leistungen sind mit hohen Rechtsschutzhürden für Betroffene verbunden (Prozesskostenrisiko im Zivilverfahren) und gehören damit im Bereich der Existenzsicherung abgeschafft. - Anspruch auf Leistungszuspruch für mehrere Monate, wenn die Lebenssituation absehbar unverändert bleibt
Vielfach wird aktuell Mindestsicherung nur für einen Monat zugesprochen, obwohl absehbar ist, dass sich die Lebensumstände des*der Bezieher*in mittel- bis langfristig nicht ändern werden und Bezieher*innen ohnehin strenge Meldepflichten auferlegt werden. Die Behörde hat bei verspäteter oder unterlassener Meldung außerdem einen Rückforderungsanspruch. - Antragsberechtigung für mündige Minderjährige
Menschen ab 14 Jahren (mündige Minderjährige), die nicht im gemeinsamen Haushalt mit den Obsorgeberechtigten leben, sollen antragslegitimiert sein – außer die Obsorge wird von der Kinder und Jugendhilfe wahrgenommen. - Neu-Regelung bei Unterhaltspflichten
Zeitgemäße Definition der „vorrangigen Leistungen Dritter“: Unterhaltsverpflichtungen zwischen geschiedenen Ehepaaren, erwachsenen Kindern und ihren Eltern bzw. sogar zwischen Enkeln und ihren Großeltern müssen häufig gerichtlich geltend gemacht werden. Diese Regelungen sind mit einem modernen Sozialstaatsverständnis nicht zu vereinbaren. - Effektive Soforthilfe
Das Prinzip Soforthilfe ernstnehmen, Mandatsbescheide immer, wenn keine anderen Leistungen/kein Einkommen vorhanden. Präzisierung der effektiven Soforthilfe:
– bei Bekanntwerden einer Notlage muss die Behörde von Amts wegen Hilfe leisten
– Überbrückungshilfe (bis über Antrag entschieden wird) muss in Fällen, in denen Personen keinerlei sonstige Leistung erhalten, gewährleistet sein.
Soforthilfe muss auch Schutz bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung bieten:
– Krankenversicherungsschutz ab dem Tag der Antragstellung, insbesondere bei Folgeanträgen.
[…] - Gesetzliche Verankerung der Krankenversicherung
Verankerung des Anspruchs auf Einbeziehung in die gesetzliche Krankenversicherung im Gesetz, nicht in einer auf ein Jahr befristeten Verordnung
– Schutz im Krankheitsfall sowie bei Schwangerschaft und Entbindung gesetzlich verankern, um Bezieher*innen von Sozialhilfe abzusichern.
– Die Meldung mitzuversichernder Angehöriger (z.B. Kinder) an die jeweilige Gebietskrankenkasse soll in allen Bundesländern von Amts wegen durch die Behörde erfolgen.
– Eigener Krankenversicherungsanspruch für erwachsene Menschen mit Beeinträchtigungen
[…]
- Anspruch für aufenthaltsverfestigte Personen
Klarstellung, dass Recht auf dauernden Aufenthalt (= anspruchsbegründend) materiell betrachtet werden muss und nicht ausschließlich auf Titelebene. Personen, die aufgrund ihres schützens- werten Privat- und Familienlebens ein Aufenthaltsrecht in Österreich haben, brauchen Zugang zu existenzsichernden Leistungen. - Zugang durch gesetzeskonformen & menschenwürdigen Vollzug gewährleisten
Mit guten Verfahrensbestimmungen schnellere Hilfe und rechtliche Sicherheit ermöglichen! Gesetzlich:
– 1-monatige Entscheidungsfrist: 3 Monate sind zu lange!
– Bei Anträgen auf Kann-Leistungen: Verpflichtung zur schriftlichen Entscheidung mit Begründung
– Leistung darf nur im Ausnahmefall mit wiederkehrenden Monatsbescheiden begrenzt werden; im Regelfall sind mindestens Quartalsbescheide auszustellen
– Dauerleistungsbezieher, die vom Einsatz der Arbeitskraft ausgenommen sind (Alter, Krankheit, Behinderung, Betreuungspflichten, Pflegeaufgaben) haben Anspruch auf Jahresbescheid
Auch das beste Gesetz hilft nicht, wenn es keinen gesetzeskonformen Vollzug gibt:
– Anträge: auch via Internet-Download, mehrsprachig, in leichter Sprache
– Übernahmebestätigungen bzw. Eingangsstempel von Amts wegen und nicht bloß auf Verlangen
– Bescheide nachvollziehbar und nach Möglichkeit in einfacher Sprache
– Pflicht zur Beiziehung von Sozialarbeiter*innen in den BMS-Behörden bei: Erstanträgen, drohenden Sanktionierungen und bei Fragen der Feststellung bzw. Zweifeln an der Erwerbsfähigkeit.
– Prinzip der Amtswegigkeit wahrnehmen – sozialarbeiterisches und barrierefreies Verständnis der Manuduktionspflicht
– Veröffentlichung der Weisungen für den Vollzug (Vollzugshandbücher)
– Explizites Verbot eine Anmeldebescheinigung zu verlangen
– Explizites Verbot Mitwirkungspflichten vor Antragsstellung zu verlangen (Verfolgung von Unterhaltsansprüchen, AMS-Meldung, etc.) - Ausbildung möglich machen
Grundsatz „Ausbildung vor workfare“: Personen mit maximal Pflichtschulabschluss sollen auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres die Möglichkeit haben, während einer zielstrebig verfolgten Ausbildung, die die realen Chancen auf eine nachhaltige und existenz-sichernde Eingliederung in den Arbeitsmarkt erhöht, Mindestsicherung zu beziehen - Hilfen, Angebote & Dienstleistungen für Lebensalltag
Es braucht Angebote zur Bearbeitung multipler Vermittlungshindernisse, die in einer ersten Phase vorrangig die „Lebensprobleme“ bearbeiten (Kinderbetreuung, Gesundheit, Wohnungssicherung, Verschuldung, …). - Berücksichtigungswürdige Ausgaben
Ausgaben, die künftig berücksichtigt werden müssen:
– Kreditrückzahlungen im Zusammenhang mit Wohnraumschaffung
– Tatsächlich geleistete, per Gesetz bzw. festgesetzte Unterhaltszahlungen (auch im Zusammenhang mit der Ermittlung des anrechenbaren Partnereinkommens)
– Nachgewiesene, laufende Ausgaben für die Begleichung von Miet- und Energiekostenrückständen
– Ratenzahlungen im Rahmen eines Schuldenregulierungsverfahrens - Existenz schutzberechtigter Personen absichern
Menschen, denen im Herkunftsland Verfolgung droht und die deshalb in Österreich asylberechtigt bzw. subsidiär schutzberechtigt sind, sind österreichischen Staatsangehörigen bedingungslos gleichzustellen, wozu Österreich gemäß Genfer Flüchtlingskonvention und Europarecht verpflichtet ist. - Menschenwürdiges Existenzminimum bei Sanktionen wahren
Bei der Ausgestaltung der Sanktionen im Leistungssystem ist darauf Rücksicht zu nehmen, dass die Menschenwürde der armutsbetroffen Menschen gewahrt bleibt. Ein menschenwürdiges Existenzminimum muss auch bei Verletzung von Mitwirkungspflichten gewährleistet sein.
Angehörige sind von Sanktionen auszunehmen. - Evidenzbasierte Gesetzgebung
Sozialwissenschaftliche Erkenntnisse und Studien, sowie Fachwissen aus der sozialen Praxis müssen ernstgenommen und im Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt und einbezogen werden – entsprechend der menschenrechtlichen Verpflichtung ist der neueste Stand der Wissenschaft zu berücksichtigen (Artikel 15 WSK-Pakt, BGBl. 590/1978).
- Wohnbedarf absichern – tatsächliche Miete übernehmen
https://www.armutskonferenz.at/media/armutskonferenz_neue-mindestsicherung_2023.pdf
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