Kazachstan ist nicht Weißrussland – die Unruhen haben andere Gründe
In einem Artikel der Jungen Welt wird die Reaktion Russlands in Kazachstan mit der gegenüber Lukaschenkos verglichen. Dass dies nicht zu vergleichen ist, zeigt Alfred Almeder in seiner Analyse.
Die Vorgänge in Kazachstan
[Die Grundlage nachfolgender Überlegungen]
[…] Um sich ev. ein breiteres Bild zu machen, ist der Beitrag der DW (!) [Deutsche Welle] mit einer kasachischen Journalistin, deren Unabhängigkeit in ihrer Stellungnahme sehr rasch erkennbar ist, und einem sehr realitätsnahen westlich-orientierten Journalisten, der wohl durchaus als besserer Kenner des zentralasiatischen Landes identifiziert werden kann. Mit dem von in St.Petersburg ansässigen Thomas Röper, der sich mehr der geopolitischen Heuchelei des Westens widmet, runden die Beiträge des PdA-Organs [Zeitung der Arbeit – ein Organ der Partei der Arbeit] und der von der Jungen Welt durchaus sachlichere solidarische Zugang zu den Protesten dies ab. Einschränkend zum Artikel der JW sei jedoch festzuhalten, dass der Vergleich der Unterstützung Moskaus mit dem von Lukaschenko mehr als „hinkt“. Waren die Proteste in Weißrussland von den westlich-orientierten Mittelschichten des urbanen Raums
getragen und eindeutig von Seiten des Westens massiv gefördert, so lassen viele Indizien zu Kazachstan auf einen originär sozialen und berechtigterweise anti-autoritären Protest schließen.
[Der politische Rahmen]
Es wird wohl wenig ernsthaften Widerspruch [für den] geben, der Zweifel an [dem] seit 1991 autoritär-regierenden Nazarbajew-System hat; das sich v.a. auch durch seine Nepotismus auszeichnet. Das man durchaus mit dem Westen gerne Geschäfte macht, die bis zur Stationierung von US-Truppen während des Beginns des Afghanistankrieges 2001 reichte, hat auch nicht zuletzt zu den Investitionsmöglichkeiten in Öl- und Gasproduktion für die westlichen Multis geführt.
[Der wirtschaftliche Rahmen]
Kazachstan ist aber auch einer größten Uranproduzenten, was für die „grüne Atomenergie“ schon bald noch mehr Bedeutung gewinnen wird. Aber auch andere durchaus innovative „Industrien“ der Neuzeit wurden entwickelt. So hat sich Kaspi (ist so wie auch die russischen big player als ADR [American Depositary Receipt] über US-Banken handelbar und hatte in der Spitze schon eine Marktkapitalisierung von fast 30 Mrd. US$ erreicht) als Zahlungsplattform für fast ganz Zentralasien etabliert, der Grad an Durchdringung ist bereits so groß, dass gleich zu Beginn der Unruhen schon deshalb Versorgungsprobleme auftraten, weil aufgrund der Web-Abschaltung die wenig verbliebenen Bankomaten nicht funktionierten und die Händler nur die ebenfalls web-basierte Kaspi-Zahlung ermöglichen, also Produkte im Laden vorhanden, aber keine Zahlmöglichkeit.
Noch spannender erscheint aber auch, dass nach dem Verbot des Bitcoin-mining in der VRC [Volksrepublik Chin], Kasachstan mit seinem vermeintlich hohen Energieangebot versuchte diese Nische zu besetzen. Der intensive Strombedarf wurde aber wohl unterschätzt und führte zu größeren blackouts. Auch eher ein Indiz, dass ein staatliches Vorgehen zur privaten Bereicherung seiner agierenden Elite des nepotistischen Systems hier zum Tragen kam.
[Analyse der Vorgänge]
Wie dem Interview der kasach[achischen] freien Journalistin zu entnehmen ist, scheint ein interner Machtkampf nicht auszuschließen zu sein. Ohne sich in verschwörungstheoretische Pfade zu verstricken, wäre auch eine von Tokajew bewusst inszenierte Gewalteskalation nicht auszuschließen. Sein doch sehr rasch erfolgter Hilferuf an die OVKS [Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit] deutet zumindest darauf hin. Moskau hat spätestens seit den Ereignissen auf dem Majdan bewiesen, dass seine Auslandsaufklärung selbst in den ehemaligen UdSSR-Staaten überschaubare Qualität hat. Außerdem wird der direkte Einfluss selbst auf die OVKS-Mitglieder überschätzt, wie sich ja am Grenzkonflikt zwischen Kirgistan und Tadschikistan im letzten Jahr gezeigt hat, aber auch Armenien und natürlich Weißrussland sind dabei zu nennen. Das diese beiden nach dem verlorenen Krieg um Nagorny-Karabach und Minsk auf Grund der bekannten Probleme eher aus der Not sich nun näher dem Kreml verbunden fühlen, ist klar.
In Kazachstan ist die Situation anders, weil dort der Einfluß noch viel geringer ist und auch nicht so stark ansteigen wird, das russische Kontingent ist auch klein gehalten und hat eher symbolischen Charakter [hat] und ist lt. Zielstellung nur zum Schutz von strategischer Infrastruktur vorgesehen. Kazachstan hat auch eine wesentliche Funktion für die „Silk Road“ und die VRC ist sicher an einem möglichst „unabhängigen“ Kazachstan interessiert.
Die Verflechtung zu westlichen Multis ist ja weder für die VRC noch für RF [Russische Föderation] ein Kriterium zu „Erziehungsmaßnahmen“, weil man da bei sich selbst anfangen müsste und das wohl deren eigenen Eliten am wenigsten gefiele (Exkurs: der frz. Luxuskonzern LVMH – einer der wenigen europäischen blue chips – hatte zum ersten Mal Kursrückgänge zu verzeichnen, als die wirtschaftliche Krise in der VRC zunahm, weil dort enorme Umsätze gemacht werden). Tokajew weiß in welch schwierigen Rolle sich die RF dzt. geopolitisch befindet, also konnte sein Hilfeansuchen gar nicht abgelehnt werden. Alleine die Größe des Landes würde die RF mit ihren begrenzten Mitteln heillos überfordern auch nur eine annähernd bestimmende Rolle einzunehmen, wenn nicht eine lokale massive Unterstützung seitens der kasachischen Machthaber vorliegt.
[Resümee]
Offensichtlich kriegt der kasachische Sicherheitsapparat die Sache wieder schnell in den Griff, womit sich meine These eher bestätigt, dass hier ein interner Machtkampf an 1.Stelle steht. Verkürzt gesagt, könnte man eher von einer Geiselnahme Putins durch Tokajew sprechen als umgekehrt.
Womit ich auf meinen Eingangskommentar zurückkommen möchte. Glaubt noch irgendwer wirklich, dass im 21.Jhdt. im Zeitalter der Digitalisierung und ausgefeiltester Machtmethodik auf allen Seiten, irgendwo noch wirklich ein sozialer Aufstand zu einer anti-autoritären und sozialistisch-ähnlicher Regierungsübernahmen kommen kann.
[Einschätzung der Forderungen der Sozialisitischen Bewegung Kazachstena]
Zu keinem Moment waren die Kräfteverhältnisse nur irgendwie vorliegend, welche die von der „Sozialistischen Bewegung Kazachstans“ [siehe: https://www.linkestmk.at/archive/21239 ] aufgestellten Forderungen als realisierbar erscheinen ließ. Das Pamphlet liest sich eher wie klassische „trotzkistische Trottelei“ […].
Das Momentum mit der Rücknahme der Energiepreiserhöhung wurde ungenutzt gelassen, weil es die Chance bot eine wirkliche politische Bewegung zu gründen. Wenn aber Absurditäten wie der
Rücktritt aller Nasarbajew-Beamten gefordert werden – d.i. wohl jeder staatliche Angestellte, der selbst in vielen Bereichen mit dem nepotistischen System unzufrieden ist, aber dem man mit Entzug der Existenzgrundlage droht, zum Gegner erklärt worden – dann braucht man sich nicht wundern, dass der roll-back in voller Härte zurückschlägt. Auch die Disziplin zur Gewaltfreiheit und die Distanzierung von gewaltbereiten Akteuren ist ein wesentliches Merkmal, wenn man selbst über keine wirklich ernsthaften Verbindungen zu Militär und Polizei verfügt.
Jede Führungskraft selbst in den untersten Ebenen wird irgendwann beigebracht, dass die gefährlichsten Mitarbeiter diejenigen sind, die „wollen“ aber „inkompetent“ sind. Das ist durchaus auf politischen Aktivismus übertragbar, „politisch Richtiges“ bewirken zu wollen, aber dilettantisch zu agieren ist die gefährlichste und schädlichste Art.
10.1.2021, A.Almeder
das habe ich gestern den kurt seinitz der kronenzeitung geschrieben:
nur die vorsichtige überschrift zur online ausgabe der nzz :
Das ist der Hintergrund: Die Wut auf ein umfassendes System der Vetternwirtschaft treibt Menschen in dem zentralasiatischen Land auf die Strassen. Entstanden unter dem Langzeitherrscher Nursultan Nasarbajew, brachte es seinem Clan Milliarden ein. Auch im Westen konnte Nasarbajew einflussreiche «Freunde» finden. Viele Verbindungen führen in die Schweiz.
Von: kurt strohmaier
Gesendet: Sonntag, 9. Jänner 2022 16:31
Betreff: die satelliten
„….aber die demokratisch gewählte führung in kiew ist widerspenstig „.
die demokratisch nachgewählte führung in kiew ????? nachdem de facto ein demokratisch gewählter präsident oder so bei einem putsch abgesetzt wurde ?????????? die vom westen bejubelte orange revolution deutlich verblasst ist ??????
ach ja, 80 % der erdölgesellschaften im kasachstan sind in amerikanischer hand (ich kannte eine kasachische verkäuferin, wenn sie von kasachstan erzählte war jedes zweite wort chevron, ein us ölkonzern)…wird jetzt deswegen soviel darüber geschrieben ???????????? diese gesellschaften haben im letzten jahr an die 40’000 arbeiter abgebaut…also gegen wen wird der westen sanktionieren ? sich selbst ?????? blindwütiger aktionismus zur vernebelung der wahren tatsachen ???????????? hat nicht der westen mit den agegebenen politbanditen paktiert ?
gruß,
k.s.
Trackback by kurt strohmaier 10. Januar 2022 18:49