Karl Kautsky „Der Ursprung des Christentums“ (Rezension)
Die GenossInnen des „funken“ haben Kautskys „Der Ursprung des Christentums“ neu aufgelegt. Ein auch heute noch interessantes Buch, das aber ebenso die Grenzen eines Marxismus, der die aktive Seite, den subjektiven Faktor fast gänzlich ausklammert, zeigt.Kautsky veröffentlichte sein Buch 1908. Er legt dar, wie in bewegten Zeiten rebellische, revolutionäre Bewegungen auch und gerade in der Religion einen entsprechenden Niederschlag finden können. Jede/r heutige Leser/in wird unmittelbar an den Islam denken, in dem sich aktuelle politische Entwicklungen widerspiegeln.
Kautsky schildert die Krisen des römischen Imperium ( der Sklavenhaltergesellschaft) bzw. der damaligen jüdischen Gesellschaft. In dieser Umbruchssituation entstanden im Judentum zahlreiche messianische Strömungen. Das Christentum war nur EINE von vielen. Im Vorwort zur deutschen Ausgabe von Alan Woods (S.15 ff) wird zu recht die Bedeutung der 1947 entdeckten Qumran-Schriftrollen hervorgehoben. „Die Qumran-Gemeinde war nicht christlich, aber die Parallelen zum Christentum sind offenkundig und von verschiedenen Experten aufgezeigt worden“(S.31).
Die urchristliche Gemeinde war gegen die römischen Besatzer und das jüdische Establishment -vor allem die Sadduzäer- gerichtet, aufrührerisch, rebellisch- in der Terminologie von Kautsky „kommunistisch“. Sie war durch praktische Solidarität gekennzeichnet: gemeinsame Mahlzeiten, Unterstützungsvereine etc.
All das findet- wenn auch nur sehr gebrochen- im Neuen Testemanet seinen Niederschlag. Am stärksten in der Offenbarung des Johannes. „Selig, wer diese prophetischen Worte vorliest und wer sie hört und wer sich an das hält, was geschriben ist: denn die Zeit ist nahe“.
Die „Erlösung“, das „Reich Gottes“ hat hier also einen sehr irdischen Charakter. Nach der Niederlage des jüdischen Aufstands 66-70 n. Chr. wird das „Heil“ zunehmend ins Jenseits verlegt.
Unter Kaiser Konstantin wird das Christentum Staatsreligion und verliert endgültig seine Sprengkraft. Das mit Paulus auch für Nicht-Juden („Heidenchristen“) geöffnete, pazifierte Christentum wird für die „Beladenen dieser Welt“ zunehmend eine „Quelle des Trostes“ .
Kautskys gibt einen fundierten Einblick in die Struktur der damaligen Gesellschaften bzw. deren allgemeine geistige Verfassung. Über die spezifische Initiativfunktion von Jesus erfährt man/frau kaum etwas. Er wird im wesentlichen als eine mythische Gestalt (wenn nicht überhaupt seine Existenz in Frage gestellt wird) abgehandelt. Fast wäre man/ frau versucht, bei Kautsky von einem „Christentum ohne Jesus“ zu sprechen.
So heißt es in dem Kapitel “ Die Persönlichkeit Jesu“: „Wohl können auch einzelne Persönlichkeiten die Gesellschaft beeinflussen, und für das Gesamtbild ihrer Zeit ist die Zeichnung hervorragender Individuen nicht zu entbehren. Aber an historischen Zeiträümen gemessen ist deren Einfluß nur ein vorübergehender, bildet er nur den äüßerlichen Zierat ( sic!), der am ehesten an einem Bau in die Augen fällt, und über seine Grundmauern nichts sagt“(S.61 f.).
Solch eine weitestgehende Leugnung der Rolle von Persönlichkeiten in der Geschichte ist typisch für einen objektivistischen Marxismus, der den – in die Geschichte – eingreifenden subjektiven Faktor, die bewußte Tat ausklammert.
Im spannenden Nachwort von Gernot Trausmuth „Ein Schiff für stille Buchten“ (S.384 ff), das das Leben und Werk von Kautsky beleuchtet, wird gezeigt, das diser sterile Objektivismus beim alten Kautsky nicht zufälliger Weise schließlich zum totalen Bruch mit dem Marxismus führte.
Eingedenk dieser Schranken ist eine kritische Lektüre des Buches von Kautsky unbedingt sinnvoll. Wie gesagt: Religion spielt bis zum heutigen Tag eine immense Rolle. Über ihre widersprüchliche Rolle im Verlaufe der Geschichte (sie erschöpft sich bekanntlich nicht in der Funktion des „Opium des Volkes“- siehe etwa ihre Rolle im deutschen Bauernkrieg/Thomas Münzer/ etc.) sollten schöpferische MarxistInnen umfassend Bescheid wissen.
Wien, 1.1.2012, Hermann Dworczak
Karl Kautsky: Der Ursprung des Christentums. Eine historische Untersuchung, Neuauflage 2011. Wien: Verein Gesellschaft und Politik.
430 Seiten. 19,90 Euro.
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