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Gilets jaunes – nicht in Österreich!

Bloged in Allgemein,Krise,Protest by friedi Montag Januar 7, 2019

Uni-Professor weiß: Schlecht bezahlte, miese, prekäre Arbeit ist besser für die Menschen als existenzgesicherte Arbeitslosigkeit – in Österreich.

Den Franzosen reicht es

In Frankreich reicht es vielen der prekär Beschäftigten. Es geht ihnen die Galle über, ob der salbungsvollen Maßnahmen der Habenden auf Kosten der Lohnabhängigen.

In Frankreich beginnt sich der Zorn über die immer frecher werdende Diskriminierung immer größer werdender Teile der Bevölkerung durch „Experten“ und durch die eigene Regierung zu entladen. Wütende Proteste im Land sind die Folge.

Thematisierung im ORF

Anlässlich dieser Vorgänge hat der ORF im Radioprogramm am 2.Jänner 2019 um 13:00 die Sendung “Revolte in Leuchtfarbe” gebracht (siehe: https://oe1.orf.at/player/20190102/539141)

Die Sendung wurde von Philipp Blom moderiert und ging der Frage nach: “Frankreichs Gelbwesten – politische Bewegung oder ferngesteuerte Rebellion?”
Als Studiogast stand Thomas Angerer, Professor für Geschichte der Neuzeit, Universität Wien zur Situationsanalyse und für Fragen von Zuhörern im Studio bereit.

Herr Professor erläutert die Gründe der Proteste

Einleitend erläuterte Professor Angerer, ein Frankreichexperte, die Gründe und Umstände, die zur ‚Gilets jaunes‘-Bewegung geführt haben: Die Frustration und die Enttäuschung über das empfundene Versagen der staatlichen Sozialstrukturen. Die globalisierten Betriebe – etwa Ford – setzen die Menschen ohne viel Rücksichtnahme auf die Straße und schließen die Betriebe. Europa macht eine massive Deindustrialisierung (Industrieschließung) durch. Der französische Staat reagiert mit Kürzungen von Pensionen und Reduzierung des Arbeitnehmerschutzes. Die Menschen fühlen sich gegen dieses Vorgehen machtlos. Das entlädt sich nun in Zorn.

Die Stimme der AMSEL kommt zu Wort

Als einer der ersten Anrufer im Jahr 2019 konnte Wolfgang Schmidt, ein Mitglied des Vereins “Arbeitslose Menschen suchen effektive Lösungen” (AMSEL) zur Sendung durchkommen. Wolfgang Schmidt, kennt trotz hochqualitativer Bildung Langzeitarbeitslosigkeit und Prekariat aus eigener Erfahrung und aus zahlreicher Erfahrung der Vereinsmitglieder.

Wolfgang Schmidt erläutert, dass der Verein AMSEL und auch der Verein Aktive Arbeitslose Österreichs (AAÖ) sowie zahlreiche andere Vereine zur Hilfe sozial Schwacher schon seit 10 Jahren in Österreich gegen diese Deklassierung der Menschen anzukämpfen versucht.

Moderator muss an dieser Stelle unterbrechen

An dieser Stelle unterbricht der Moderator mit dem Hinweis auf die gesunkene Arbeitslosigkeit in der letzten Zeit.

Der Anrufer versucht darzulegen, dass durch unzählige Prekariatsverträge die Betroffenen schlechter gestellt werden

Wolfgang Schmidt versucht darzulegen, dass viele der Jobs prekäre Jobs sind, bei denen es den Menschen noch schlechter geht als in der Arbeitslosigkeit. Dass das System in Österreich ein perfides System der Benachteiligung der Schwachen ist. Erst wenn man über eine gewisse Lohnsteuergrenze kommt, kann man etwa die Fahrt zur Arbeit oder Arbeitsmittel o.ä. von der Steuer absetzen – die prekär Beschäftigten, die sehr wenig verdienen, müssen die Fahrt von ihrem Lohn begleichen und kommen noch mehr in Existenzdruck.

Der Herr Professor erklärt

Nun erklärt der Herr Professor dem Erwerbsarbeitslosen, dass miese, schlecht bezahlte Arbeit unter existenzbedrohenden Randbedingungen immer noch besser sei, als keine Arbeit, weil, wenn man wenigstens etwas tut, man das Gefühl hat, sich selbst zu erhalten – und das ist viel wert.

Das macht den Betroffenen nahezu sprachlos

Wolfgang Schmidt empfindet diese Aufklärung des Herrn Professors so:

“[…] der Herr Historiker […] spricht MIR [Anm.: den, der Betroffen ist vom Prekariat und Arbeitslosigkeit] mit einer atemberaubender Selbstverständlichkeit ab, dass ICH wüsste, wie sich Abeitslos-sein anfühlt und was – im Vergleich dazu – Billigarbeiten (arbeiten unter schlechten Bedingungen) heißt / bedeutet …

– ER weiss [es] aber schon (… wieder der alte Hut von der alten Maria Jahoda-Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“, Mitte 20. Jhrhdrt. ) … und ER weiss noch dazu „objektiv“ – da kannst du dich als Betroffene*r „subjektiv“ eingraben … )-: … alles wie gehabt …”

Da ist die Gelbwestenmotivation: Die Ignoranz der Habenden

Und da ist sie! Die Groll erzeugende Arroganz im feinen Zwirn.

Da ist es, was der Herr Professor gerade zuvor auf Macron bezogen implizit genannt hat: Schlechte Berater, etwas missverständlich ausgedrückt, aus dem Zusammenhang gerissen zitiert usw. – also ein tiefes tiefes Unverständnis der Honoratioren für andere als die eigenen Zustände.

Fehlende Empathie der abgehobenen Klasse – fehlende Bodenhaftung der Eliten

Aber auf was Herr Macron – und anscheinend auch Hr. Prof. Angerer nicht kommen: Ein klein bisschen Empathie! Mitempfinden, wie es jemandem geht, der praktisch keine Gestaltungsmöglichkeit für sein Leben hat; der von einem rücksichtslosen System an den Gesellschaftsrand gedrängt und dann dafür auch noch verunglimpft wird.

Man muss nicht viel Vorstellungskraft haben, welche Zukunftserwartungen jemand hat, der ständig empfindet, am Rand der Existenz inmitten einer reichen Gesellschaft vegetieren zu müssen. Der ständig vorgehalten bekommt, es gäbe hunderte freie Stellen – aber er bekommt sie nicht. Dem man dann bei „Verfehlungen“ noch das letzte kürzt (Zusammenfassung für den Herrn Professor: Relative Deprivation),

Wissenschaft hat keine politische Relevanz zu haben

Für einen Professor ist diese Haltung legitim, er ist Wissenschafter und auf ein enges Fachgebiet begrenzt – ein Politiker mit Staatsamt, der so eine Haltung hat, der sollte aber aus dem Amt gejagt werden – und das ist es was die ‚Gilets jaunes‘ fordern.

Wo der Verweis auf die Marienthalstudie berechtigt ist

Ja! Der Hinweis auf die berühmte “Marienthalstudie”, den der Herr Professor in Bezug auf die Arbeitslosigkeit getätigt hat, hat seine Berechtigung. Die Studie zeigt es implizit: Wir kommen wieder dort hin, dass die Bürger ohne Kapitaleinkommen der Spielball der Kapitaleigner (und der Funktionäre) werden. Protest, Zorn, Widerstand sind dann nicht nur verständlich, sondern nahezu reine Notwehr – solange sie noch möglich sind.

Marienthal hat es gezeigt: In einem obrigkeitsorientierten Staat mit feudalen Strukturen, bleibt den Lohnabhängigen nur dumpfes Resignieren – sind doch alle Mitteln der Produktion und der Kommunikation sowie der Staatsgewalt in der Hand der Habenden.

Österreichs Unterschied zu Frankreich

Auch wenn der Herr Professor Angerer darlegt, dass es in Österreich noch nicht so globalisiert zugeht wie in der französischen Industrie, dass die österreichische Wirtschaft sich im Osten Absatzmärkte sichern konnte und dass daher solche Proteste wie in Frankreich in Österreich nicht zu erwarten sind, so hat er einerseits recht – anderseits aber nicht: Auch in Österreich gibt es die Abwanderung der Industrie, die Zunahme der prekären Löhne, den Abbau des Sozialstaats. Was es in Österreich (zum Glück?) noch nicht gibt, sind selbstbewusste Bürger, die ihre Lage einschätzen können.

Verschweigen des zentralen Unterschieds

Was bei dieser Argumentation besonders auffällt ist, dass die Begründung ziemlich am zentralen Unterschied vorbei geht (was Herr Angerer als Frankreichexperte natürlich weiß): In Österreich gibt es eine Zentralgewerkschaft, die die Menschen von ihrer Willensäußerung zurück hält – in Frankreich gibt es diese Bevormundung nicht. War in Österreich bisher (in den letzten 50 Jahren) ein fragiles System der Sozialpartnerschaft gegeben, die zumindest im Groben die Lasten und Gewinne im Land gestreut hat – so ist das nun unter EU-Vorgaben nicht mehr möglich. Auch in Österreich – gerade unter der Regierung Kurz – wird das Sozialnetz abgebaut, der Markt der Globalisierung geöffnet (CETA, JEFTA usw.).

Es werden auch in Österreich die Unruhen zunehmen – ganz einfach, weil die Lohnabhängigen existentiell immer stärker bedroht werden (siehe 1929).

Gerade aufgrund der wirtschaftslastigen EU-Politik wären alle lohnabhängigen Menschen auch in Österreich aufgerufen, auf die Barrikaden gegen den Sozialabbau zu steigen. Kündigt doch die Wirtschaft an, mehr Profite einfahren zu wollen und kündigt doch die Regierung an, diesen Profitzuwachs durch den Abbau der sogenannten Lohnnebenkosten zu finanzieren. Diese Lohnnebenkosten, die die Sozialversicherung speisen, fehlen dann bei der Existenzsicherung der Menschen.

Hau den Lukas: Die Schwächsten werden zum Feindbild

Wie in Rechtsdiktaturen üblich, wird auch in Österreich nun wieder vermehrt gegen die Schwächsten gehetzt. Das Lebensideal der Lohnabhängigen wird der Verzicht (die Wirtschaft will wachsen!). Prekär Beschäftigte sollen glücklich sein! Wer für ein Gulasch und eine Semmel am Sonntag beim Herrn Grafen auf der Treibjagd den Treiber spielen darf, verhungert ja nicht. Natürlich, diese arbeitsunwilligen, die unbedingt gesicherte und erfüllende Arbeitsplätze wollen, die müssen durch Entzug ihrer Versicherungsleistungen bestraft werden – woher sollte sonst der Herr Graf seine Treiber (und seinen Gewinn) bekommen?

Und natürlich: Der im System noch relativ gut eingebunden Universitätsprofessor nennt die Gründe, warum das gut und recht ist.

PS.: Ich höre in meinem Kopf schon das Standardargument: Wir müssen ja auf dem Weltmarkt bestehen – und die Konkurrenz gibt die Rahmenbedingungen vor. Da sage ich nur: Eine Wirtschaft, die keinen Wohlstand sichert, brauche ich nicht!

7.1.2019, W.Friedhuber

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