Essay: Die Zerstörung der Lebenswelt durch kleinbürgerliche Interessen am Beispiel Graz
Gestern, 2.2.2018, habe ich mich überreden lassen, wieder in Graz Kultur zu genießen. Ich hätte es besser nicht getan. Der Ausstellungsbesuch hat mir wieder klar vor Augen geführt, dass in einer von Kleinbürgern regierten Welt Kultur (und ich) keinen Platz hat.
Im Landesmuseum Joanneum, Neue Galerie, wird zur Zeit die Ausstellung „Frauen in Gesellschaft“ gezeigt.
Die Werke von Shiri Neshat sind Kultur auf höchstem Niveau: Tiefsinnig, ästhetisch und sensibel.
Umso tiefer habe ich den Kontrast empfunden, wie die Herren (sic!) der Welt in Graz mit Kulturgut umgehen. Rücksichtslos wird da alte Bausubstanz der merkantilen Sichtweise der kleinbürgerlichen Herrschaftsschicht geopfert: Raumaufteilungen durchbrochen, Grünraum in Steinwüste verwandelt, Marmorsockel für architektonische Spielereien angebohrt oder weggeschnitten, kurzum, Kulturzeugen und Ensembles zerstört wo es nur geht.
In den altehrwürdigen Räumen, die einst ein wunderbares Flair von Authentizität hatten und in passender Weise die Alte Galerie beherbergten – ein Ort der Ruhe und der stimmigen Gesamtatmosphäre, müssen jetzt, um die modernen Kulturobjekte zur Geltung bringen – neumodern gesagt – Spannungsfelder und Kontrastelemente eingebaut werden: Teils der Wirkung der modernen Ausstellung geschuldet, teils dem Brandschutz und teils der merkantilen Vermarktung von Produkten – aber immer ohne empfundene Rücksicht auf Vergangenheit und Ensemble.
Es gäbe zwar in Graz auch Kunsthäuser, die für moderne Kunst gebaut wurden – aber die Kleinbürger und ihre Stararchitekten wollen, um sich selbst ins Bild zu rücken, lieber alte Kultur zerstören, als neue aufzubauen – insofern gleichen sie den Taliban-Horden, die die Budhastatuen sprengten.
Hatten die Taliban noch geistige Gründe, haben die neuen Herrscher der Demokratie nur mehr Profitinteressen: Die Zahl der Touristen zählt – nicht die Kultur.
Dieser rücksichtslose Vorgang der Selbstverwirklichung idiotischer Beweggründe ist in Graz auf allen Ebenen zu sehen: Die Zerstörung und die rücksichtslose Aneignung des Wohn- und Lebensraum durch Finanzprofiteure frisst den Grünraum, frisst die Dachlandschaft, frisst den Huchen, die Mur – kurz alles, was diese Egomanen sich aneignen.
Im kleinräumigen Graz, das in wundersamer Weise bis in das 20. Jahrhundert als lebenswerter Stadtraum erhalten geblieben ist, ist dieser Vandalismus zur Zeit auf allen Gebieten – nicht nur in der Kunst und Kultur zu bemerken: Natur Zerstörung, Ausrottung von Huchen-Populationen, Würfelnattern – wer braucht die, wenn wir dort betonieren wollen oder eine sonstige Profilieraktion auf Kosten des Bestands brauchen?
Leider ist die Mehrheit der Bevölkerung so unsensibel, dass sie die Stadtverwaltung gewähren lässt, ja ihr sogar noch zustimmt. Das Goldene Kalb, das diese Herrscher verehren, nutzt zwar nur wenigen, aber es glänzt so schön.
Um diesen Glanz für die Mehrheit, die diesen Glanz nie genießen werden können, ja sogar ihres Lebensraumes beraubt werden, aufrecht zu erhalten, betreibt die Stadt Graz sogar ein „offizielles Organ“ – die Gratiszeitung BIG.
Es sollte jeden eigentlich nachdenklich stimmen, das BIG BürgerInneninformation Graz bedeutet und in der Abkürzung völlig identisch ist mit BIG = Bundesimmobiliengesellschaft .
3.2.2018, W. Friedhuber
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