[R. Brunath] Das Ende des kapitalistischen Wachstums steht auf der Agenda der Menschheit.
Essay einer Pressenachricht vom St. Petersburger Forum (STIF) von Rainer Brunath
Hamburg 30.6.2025
Die Welt braucht ein neues Wachstums- bzw. Wirtschaftsmodell. Das kapitalistische Prinzip des rein quantitativ bemessenen „ewigen Wachstums“ ist an seine Grenzen gestoßen – sozial wie auch ökologisch. Armut, der unermesslicher Reichtum von wenigen Besitzenden gegenüber steht; konnte nicht beseitigt werden, ökologisch taumelt die Welt von einer Katastrophe in die andere und Klimapolitik wird als Druckmittel eingesetzt um soziale Forderungen der Massen zu unterdrücken.
Die traditionelle Logik des Kapitalismus – „mehr produzieren, mehr konsumieren“ – ist an ihre planetarischen und sozialen Grenzen gestoßen. Es muss Schluss sein mit der Illusion, dass die endlose Expansion ungehindert weitergehen kann.
Bäume wachsen nicht in den Himmel
Seit die ersten Dampfmaschinen im 18. Jahrhundert erschaffen wurden, wurde der nationale Erfolg an einem steigenden Bruttoinlandsprodukt und ansteigendem Privatkonsum gemessen. Dieses lineare Modell brachte erstaunliche Zuwächse für einige, das Problem der Ungleichheit wurde damit aber nie gelöst. Die Kluft der Lebensqualität zwischen Nord und Süd bleibt hartnäckig bestehen; innerhalb vieler Länder wird die Schere zwischen Arm und Reich immer größer. Das noch zur Zeit des deutschen „Wirtschaftswunders“ gegebene Versprechen, dass „mit dem allgemeinen Anheben der industriellen Produktion“ der allgemeine Wohlstand steigt wie eine Flut, klingt hohl für die Mehrheit, die immer weniger mit ihrem Monatseinkommen leben kann, Bürgergeld benötigen oder einen Zweitberuf nebenher ausüben müssen. Immer mehr Familien kommen – wenn überhaupt – nur noch Sonntags zusammen.
Dem steht der unendliche kapitalistische Appetit gegenüber. Die Ressourcen des Planeten werden geplündert, um die Kriege geführt werden. Wenn das so weitergeht, und die Menschheit um weitere drei Milliarden wächst und der Konsum auf das Niveau der westlichen Mittelschicht steigt, wird unsere Biosphäre das nicht verkraften. Klimastress, Umweltzerstörung und Ressourcenknappheit sind schon jetzt offensichtlich.
Kollektiver Halt auf dem Weg zum Abgrund
Der russische Präsident Putin hat auf dem Forum in St. Petersburg (SPIF) einen „Sprung in die Zukunft“ gefordert, was bedeutet, das von Quantität besessene Wachstum durch eine Rationalisierung von Konsum und Produktion zu ersetzen – eine Verlagerung vom „immer mehr“ zu „immer vernünftiger“, von „immer reicher werden“ zu „Nachhaltigkeit“.
Dies sei – so Putin – kein Aufruf zu allgemeinem Verzicht oder erzwungener Gleichmacherei. Die Beseitigung der Armut, die Gewährleistung der Nahrungsmittel- und Energiesicherheit und die Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse blieben unverhandelbar. Aber das Bruttoinlandsprodukt sollte als Maßstab an Bedeutung verlieren. Der Erfolg eines Staates sei an zunehmender „Lebenserwartung und -qualität, der Qualität der Bildung, der Gesundheit der Umwelt, der kulturellen Lebendigkeit, den wissenschaftlichen Durchbrüchen, dem sozialen Zusammenhalt und der Abwesenheit zersetzender politischer Gräben zu messen.
Diese Liste sei nicht utopisch. Viele Regierungen auf der Welt erstellten bereits „Wohlfühlindizes“ neben den klassischen Haushaltsübersichten. Wichtig sei eine koordinierte Anstrengung – innerhalb der Wirtschaftsorganisationen auf der Welt und darüber hinaus –, diese Indikatoren in gemeinsame Entwicklungsziele umzuwandeln.
Technologie als Mittel
Skeptiker fragen, wie eine Wirtschaft ohne unablässigen materiellen Umsatz gedeihen könne. Die Antwort liege zum Teil in den Technologien selbst, die jetzt die Arbeitsmärkte verunsichern. Künstliche Intelligenz, fortschrittliche Robotertechnik, Mobilfunknetze der sechsten Generation und andere bahnbrechende Neuerungen machten manche Arbeit überflüssig. Sie gäben den Menschen die Freiheit, kreative, wissenschaftliche und gemeinschaftsbildende Aufgaben zu übernehmen – Tätigkeiten, die die Gesellschaft bereichern, ohne die Biosphäre zu zerstören. (Ein ähnlicher Gedanke von Karl Marx)
Kurz gesagt – so Putin – das neue Wachstumsmodell stelle das menschliche Potenzial über Wegwerfprodukte. Es schätze die Software der Zivilisation mehr als die Hardware des Massenkonsums. Dieser Wandel würde nicht über Nacht und auch nicht ohne Reibungsverluste vonstattengehen. Aber die Alternative sei, dass wir immer schneller auf eine ökologische Überforderung und einen sozialen Zusammenbruch zusteuern.
Eine Welt nach dem BIP
Von Sankt Petersburg aus war Putins Botschaft unverblümt: Die Jagd nach einer ständig steigenden Produktionskurve sei überholt. Das 21. Jahrhundert werde den Staaten gehören, die ein Gleichgewicht zwischen vernünftiger Nachhaltigkeit und echtem menschlichem Wohlergehen herstellen können – und die der Versuchung widerstünden, die Wirtschaft als Waffe einzusetzen, wenn die Innenpolitik ins Stocken gerät.
Der Aufbau dieser Welt werde den Einfallsreichtum jeder Regierung auf die Probe stellen. Doch die Alternative sei ein Planet, auf dem sich die Gewinner des Wachstums gegen eine zurückgebliebene Mehrheit verbarrikadieren, diese bekämpfen und das Klima in Richtung Instabilität kippt.
Ein anderer Weg sei möglich – so der russische Präsident. Die Frage sei, ob der Rest der Welt bereit ist, ihn zu beschreiten – oder ob wir weiter auf einem Weg rennen, von dem wir wissen, dass er an einer Klippe endet.
Wird der Westen zuhören?
Kritiker in Washington, London und Brüssel tun diese Argumentation mit der Behauptung ab, es sei ein Deckmantel für eigene russische, geopolitische Kämpfe. Doch die der Argumentation zugrunde liegende Logik – endliche Ressourcen, unerträgliche Ungleichheit, technologisch bedingte Zerrüttungen – deckt sich mit den Bedenken, die viele Menschen und Organisationen äußern. Der Unterschied bestehe darin, dass Russland das Problem als systemisch und nicht als Managementproblem betrachtet. Das Herumbasteln an CO₂-Steuern oder „Friend-Shoring“ in der Lieferkette ist nur kosmetisch, wenn der Wachstumsmotor selbst einen ständigen Overdrive verlangt.
Das Essay als PDF: Das Ende des kapitalistischen Wachstums steht auf der Agenda der Menschheit
wäre das ganze etwas neues ? jeder denkende hatte davor gewarnt, die gier einiger weniger hat jedoch die oberhand ergriffen.
Trackback by kurt strohmaier 30. Juni 2025 16:03