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[Euroexit] Die Krise des spanischen Regimes: Wiederholt sich Griechenland auf der iberischen Halbinsel?

Bloged in Allgemein,Krise by friedi Freitag Januar 1, 2016

Wer dachte, dass mit der Kapitulation des griechischen Premier Tsipras vor
den EU-Institutionen die Eliten in Brüssel und Berlin wieder alles im Griff
hätten, hat sich geirrt.

Die EU erodiert weiter aufgrund tiefer
struktureller Wiedersprüche, die wieder und wieder zu politischen Krisen und
Instabilität führen. Lange hat es nicht gedauert seit dem griechischen
Kniefall vor seinen Gläubigern am 13. Juli, bis sich nun, kaum fünf Monate
später, auf der iberischen Halbinsel ein neues griechisches Szenario
ankündigt, mit vielen Ähnlichkeiten und einigen neuen Aspekten.

Das Panorama ist überall an der südeuropäischen Peripherie (und nicht nur
dort) dasselbe: mit der Wirtschaftskrise 2008 brach das Kartenhaus des
kreditfinanzierten Wachstums in sich zusammen. Der Aufschwung nach dem
Eurobeitritt war auf Sand gebaut. In Spanien auf einer Immobilienblase, die
2007 mit massiven Privatkonkursen, Banken- und Unternehmenspleiten
implodierte. In der Folge schnellte die Arbeitslosigkeit von einem
Rekordtief von 8 % auf über 26 %, der Staat rutschte durch versuchte
Konjunkturbelebung, Bankenrettung, Steuerausfälle und steigende soziale
Kosten ins Minus mit einem maximalen Haushaltsdefizit von -11.2 % des BIP im
Jahr 2009. Es folgte ein Austeritätsprogramm dem anderen, zwischen 2012 und
2014 unter Aufsicht der Troika. Das bedeutete wie in anderen Ländern eine
Schuldenbremse in der Verfassung (Reform des Artikels 135 der Verfassung:
Schuldenrückzahlung prioritär vor allen anderen Staatsausgaben), weitere
Prekarisierung des ohnehin erschreckend deregulierten spanischen
Arbeitsmarktes, Abbau der sozialen Sicherheit und Einschränkung der
Geldflüsse an die Regionen. Das war der Stoff, aus dem das Ende der
PSOE-Regierung Zapatero (angetreten als scheinbar linke Sozialdemokratie
gegen den erzreaktionäre Bush-Unterstützer Aznar) und der Ausbruch der
Massenproteste der Empörten „Indignados“ im Mai 2011 auf die Plätz des
Landes gemacht war. Diese soziale Mobilisierung unter der Losung „sie
repräsentieren uns nicht“ war der Beginn der neuen Linkspartei Podemos von
Pablo Iglesias, die seit den Europawahlen 2014 (8 % der Stimmen) die
Altparteien auf dem institutionellen Terrain herausfordert.

Trotz eines leichten Abschwungs von Podemos in den Regionalwahlen und
Umfragen 2015 bis knapp vor den Wahlen im Dezember – die Ursachen sind
vielfältig, aber sicher spielte der recht schwankende Diskurs hinsichtlich
der katalanischen Unabhängigkeit wie auch die Rückendeckung für den Kniefall
von Alexis Tsipras eine wichtige Rolle – konnte die Partei bei den
Parlamentswahlen am 20. Dezember mit 20.7 % einen großen Erfolg erzielen.
Entgegen der Hoffnungen der spanischen und europäischen Eliten war es nicht
die bürgerliche Erneuerungspartei Ciudadanos (eine klare
Pro-Austeritätspartei und eingefleischte Verfechterin des spanischen
Zentralismus gegen die Selbstbestimmungstendenzen der Katalanen und Basken), die der Überraschungssieger wurde, sondern doch die Linke. Stimmenmäßig blieben Pablo Iglesias und seine verbündeten Gruppierungen in den autonomen Provinzen nur knapp hinter der PSOE (22 %), obgleich das spanische Wahlrecht den zwei Regimeparteien PSOE und PP einen etwas größeren Mandats-Vorsprung sichert. Es sei angemerkt, dass im Vorfeld intensiv ein Bündnis mit der Vereinigten Linken (IU, Izquierda Unida) diskutiert wurde, das Iglesias aber ablehnte – unter dem Vorwand sich mit keinerlei „Altpartei“ einlassen zu wollen. Ein solches Bündnis hätte den Mandatsabstand zu den Regimeparteien deutlich minimiert – wenn auch der Hauptleidträger bei den Wahlen die IU war, die 3,25 Prozentpunkte an Stimmen und 9 Mandate (!) verlor. Die zweite Linksformation, die von Podemos überrannt wurde war die baskische Unabhängigkeitsbewegung um die Partei Euskal Herria Bildu (- 5 Mandate). Der gegenüber der Unabhängigkeit offene Diskurs von Igleasias – „das Volk solle entscheiden“ – und seine klare Anti-Austeritätslinie sicherten ihm eine
breite Unterstützung in Katalonien (24,7 %; nicht zuletzt dank der populären
Podemos-nahen Bürgermeisterin von Barcelona Ada Colau) und im Baskenland
(25,97 %).

Das spanische Establishment ist erschüttert. Etwa ein Drittel der Stimmen
gingen den alten Systemparteien PP und PSOE verloren. Das Land steht vor
einem ungelöstem Konflikt mit der katalanischen Regionalregierung, den die
PP-Regierung unter Mariano Rajoy bis zu dem Punkt eskalieren ließ, an dem es
selbst für die alten bürgerlichen Autonomisten der CiU (Convergència i Unió)
um Artur Mas nur mehr den Ruf nach Unabhängigkeit gab – wovon vor allem die
Linke (die sozialdemokratische Katalanische Republikanische Linke, ERC, und
die linksradikale Kandidatur der Volkseinheit, CUP) profitierten. Erstere
wurde bei den Parlamentswahlen viertstärkste Partei mit 9 Mandaten und
potentielles Rädchen am Wagen einer Linkskoalition, zweitere reif zum
Wahlboykott auf. Im Baskenland ist die Situation ohnedies seit Jahren
verfahren. Und die Jubelrufe über Spaniens Überwindung der Krise (2014
verließ das Land den Rettungsschirm und konnte sein Haushaltsdefizit
deutlich verbessern) sind auf dünnem Eis: weiterhin liegt die
Arbeitslosigkeit bei 22 %, die der Jugend bei 47 %. Und der schwache
Aufschwung hat 2015 sofort wieder das Leistungsbilanzdefizit ansteigen
lassen.

Spanien ist in einer tiefen strukturellen Krise, seit Ende der 1980er Jahre
hat das Land seine industrielle Basis verloren und ist zu einer peripheren
Dienstleistungsökonomie (Tourismus) mit chronischem Leistungsbilanzdefizit,
nicht wettbewerbsfähiger Industrie und hoher struktureller Arbeitslosigkeit
geworden. Daran ändern die wenigen international tätigen spanischen
Vorzeige-Multis (z.B. Telefónica, Repsol) und der Immobilienboom 2000-2007
nichts. Das Land hat kein tragfähiges ökonomisches Modell. Die
Globalisierung und seine europäische Form, die EU von Maastricht bis zum
Fiskalpakt, haben es zu einem Peripherieland degradiert, in dem die
sozioökonomische Erosion nun endlich zu einer ernsten politischen Krise
geführt hat.

Wie diese Krise enden wird ist offen. Irgendjemand wird politisch sterben.
Verkauft sich die PSOE der PP im Sinne der Regierbarkeit (wie es
Ciudadanos-Chef Albert Rivera forderte, aber von der PSOE vorerst
ausgeschlossen wurde) so droht ihr das Schicksal der griechischen PASOK.
Verkauft sich Podemos zu billig der PSOE ist ihr Aufstieg schnell beendet –
ein Szenario, das nach dem Erfolg vom Sonntag wenig wahrscheinlich ist. Doch
selbst die Minimalforderungen von Pablo Iglesias für eine Koalitionsbildung
– vor allem die Sicherung sozialer Rechte und eine Lösung der nationalen
Frage im Sinne des Selbstbestimmungsrechts – sind kaum mit dem herrschenden
politischen und ökonomischen Rahmen vereinbar. Und dieser ist europäisches
Recht und in die spanische Verfassung gemeißelt. Ob sich die PSOE der
Podemos-Idee eines verfassungsgebenden Übergangsprozesses anschließen wir
ist eher unwahrscheinlich. Daher haben die bürgerlichen Kommentatoren wohl
nicht ganz Unrecht, wenn sie das Gespenst der Unregierbarkeit an die Wand
malen.

Trotzdem sollte man realistisch bleiben: Podemos wird wohl kaum die totalen
Umwälzung anführen. Das hat Syriza nicht leisten können und von Beppe Grillo
in Italien ist es auch nicht zu erwarten. All diese neuen Formationen sind
teils politische Krisenprodukte mit unzureichender programmatischer
Substanz, teils sind sie in den ideologischen Fesseln des traditionellen
linken Diskurses eines sozialen Europas gefangen. (Es ist schwer zu sage,
was schlimmer ist.) Und Griechenland hat nun einmal den steinharten Beweis
der Unreformierbarkeit des Euro-Regimes erbracht. Nicht nur wegen der
Unnachgiebigkeit der Deutschen, sondern aufgrund der Untragbarkeit der
ökonomischen Struktur, die die EU und die Währungsunion hervorgebracht
haben. Daran wird auch das größere Gewicht Spaniens nichts ändern. Selbst
die elementare Forderung nach dem Ende der Austerität ist daher radikal und
konfrontativ.

Wir hoffen, dass Pablo Iglesias‘ Podemos möglichst hart bleiben wird bei
ihrem Anti-Austeritätskurs und bei ihrem Versprechen an die unterdrückten
Nationen im spanischen Staat, dass sie über ihre Zukunft selbst entscheiden
sollen. Wenn das so ist, dann wird Podemos sich früher oder später mit der
Frage eines „neuen produktiven Modells“, wie sie es in ihrem Programm
nennen, konfrontiert sehen und damit mit der Tragbarkeit der spanischen
Mitgliedschaft im Euroraum. Auch Podemos wird sich mit dem Plan B
auseinandersetzen müssen, den Alexis Tsipras für Griechenland verweigert
hat.

Spanien – wie auch Portugal und in leider rechter Form Frankreich – sind in
jedem Fall der nächste Weckruf an die europäische Linke, sich kollektiv
dieser Frage des Plan B zu widmen. Hier liegen die Zukunft eines neuen
politischen Projekts und auch die einer neuen sozialistischen Alternative.

Gernot Bodner, Personenkomitee EuroExit

Weitere Neuigkeiten auf www.euroexit.org <http://www.euroexit.org/>

Albert Reiterer: Wie wirtschaftlichen Folgen der Finanzkrise: Was kostet uns
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Albert Reiterer: Außenhandelsüberschüsse, Staatsverschuldung und
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