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[AIK] Österreich: Razzia-Begründung im Stil der israelischen Militärjustiz

Bloged in Allgemein,Krise,Protest by friedi Sonntag November 29, 2020

Razzia-Begründung in Österreich im Stil der israelischen Militärjustiz

Von Wilhelm Langthaler

In der „Anordnung zur Sicherstelllung“ für die Hausdurchsuchungen und Kontosperren am 9.11.2020 werden Begriffe wie terroristisch, islamistisch, faschistisch, diktatorisch im Zusammenhang mit Muslimbrüdern und Hamas auf 50 Seiten tausende Male bis zum Erbrechen wiederholt. Was kein einziges Mal vorkommt: die israelische Besatzung.

Das sagt eigentlich alles über die Vorlage für die Anklage, die eine schlimme Mischung des Jargons der Sisi-Henker, der ehemals linken Antinationalen, israelischer Militärrichter und stramm rechter österreichischer Justiz darstellt.

Hier eine Blüte aus Aktenzeichen 16St52/19t:

„Seit ihrem Wahlsieg im Jahr 2006 und in den bürgerkriegsartigen Kämpfen um Gaza im Juni 2007 stellt HAMAS im Gazastreifen die Regierung. Die HAMAS lehnt demokratische Wahlen ab. Trotzdem beteiligte sie sich im
Jahr 2006 an den Wahlen in den palästinensischen Autonomiegebieten. Bei den Wahlen erreichte sie mit etwa 44% der Stimmen die absolute Mandatsmehrheit. Nach dem Angriff auf das Fatah-Hauptquartier im Gazastreifen brachten Milizionäre der HAMAS den gesamten Gazastreifen unter ihre Kontrolle. Nach der Machtübernahme durch die HAMAS verschlechterte sich die ohnehin bereits angespannte Menschenrechtslage und die Lebensbedingungen der Zivilbevölkerung drastisch. Die HAMAS beteiligte sich letztmals im Jahr 2006 an den demokratischen Wahlen.“

Kein Wort davon, dass der Westen und Israel die demokratische Wahl nicht akzeptierten und es bis heute nicht tun, weil ihnen das Ergebnis nicht passte. Der Bürgerkrieg kam zustande, weil die prowestlichen Fatah die Macht nicht abgeben wollte. Letztmals fanden die Wahlen deshalb statt, weil die Besatzung bis heute nicht sicherstellen kann, dass sie das richtige Ergebnis zeitigen würden. Die katastrophalen Lebensbedingungen sind in aller erster Linie durch zahlreiche asymmetrische Kriege Israels gegen den Gazastreifen verursacht, sowie die seit damals angewendete Kollektivstrafe des Embargos.

Der Text ist eine einzige Manipulation, völlig losgelöst von der politischen und sozialen Situation, von der Ungleichheit und Ungerechtigkeit der Weltordnung, rein ideologisch argumentierend. Es erinnert an die Zeit des finstersten Kolonialismus. Die Staatsanwaltschaft stellt sich zu 150% auf Seite Israels und der Sisi-Gewaltherrschaft.

Sie muss sogar einräumen, dass die inkriminierten Bewegungen in Österreich keinerlei Gewalttaten begingen und auch es nicht vorhätten – aber das ist umso schlimmer, nämlich Verstellung. Ein konkreter Nachweis von Geldflüssen wird gar nicht erst versucht, geschweige denn für militärische Zwecke.

Die Lektüre ist wie ein Albtraum, in dem man trotz des erlittenen Unrechts nicht zu schreien vermag. Darum einmal nur eine kleine Portion des Machwerks. Fortsetzung folgt.

Und doch noch ein Nachsatz: Die Sache ist hoch gefährlich, denn Terror wird nicht an terroristischen Taten festgemacht, sondern an kritischer Meinungsäußerung in Österreich zur israelischen Besatzung und zum  Militärputsch gegen die erste und einzige demokratisch gewählte ägyptische Regierung, sowie der Unterstützung des jeweiligen Widerstands dagegen. Es ist die Meinungsfreiheit für antikoloniale Positionen, die vor Gericht steht.

Der Wolf und das Reh

Von Murat Gürol
http://dieanderen.net/der-wolf-und-das-reh/

Die östlichen Menschen verstehen es gut, mit Fabeln und prägnanten Anekdoten Dinge auf den Punkt zu bringen: Der Wolf am Ufer warf dem Reh, das etwas weiter flussabwärts trank, vor, dass es ihm das Wasser trübe.
Hierauf sagte das Reh, „aber ich stehe doch flussabwärts, wie kann ich dein Wasser trüben?“.

Sein Einwand bewahrte das Reh nicht davor, im nächsten Augenblick vom Wolf gefressen zu werden.

Am Jahrestag der Reichskristallnacht wurden Wohnungen von mutmaßlichen Muslimbrüdern durchsucht und unter anderem Konten von mindestens sechs Vereinen und Dutzender Privatpersonen gesperrt, weil die Muslimbrüder eine terroristische Organisation seien.

Als Begründung heißt es in der Anordnung der Grazer Staatsanwaltschaft,

“ … die [der Muslimbruderschaft] zugeschriebenen Taten[i] [waren] deshalb terroristische Straftaten, weil sie nicht auf die Herstellung oder Wiederherstellung demokratischer und rechtsstaatlicher Verhältnisse oder die Ausübung oder Wahrung von Menschenrechten, sondern auf die Einrichtung eines als Kalifat bezeichneten, faschistisch nach dem Führerprinzip strukturierten islamischen Staates auf Grundlage [der Scharia] ausgerichtet waren.“

Es wäre müßig, sich auf die Widersprüche und das Rosinenpicken im Dokument einzulassen, obwohl dies eine lohnenswerte Quelle und ein Paradebeispiel für manipulative Beweisführung wäre.

Schnell würde man sehen, dass z.B. aus einer veralteten, radikalen Hamas-Charta zitiert wird, die spätestens seit 2017 durch eine auf Prinzipien von Demokratie und gegenseitiger Anerkennung gegründeten Charta ersetzt wurde, die sich für eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzt. Schnell wäre zu sehen, dass das Parteiprogramm der FJP, der Partei der Muslimbrüder in Ägypten, nicht als Referenz genommen wurde, wo eindeutig ein Bekenntnis zu Demokratie
und Pluralismus steht. Schnell wäre zu sehen, dass 90 Jahre intellektueller Arbeit der Muslimbrüder, in der sie das demokratische Prinzip mit der islamischen Tradition verheirateten, indem sie das schura-Prinzip als Entsprechung zu beratenden Organen in modernen Staaten setzen, einfach ignoriert wurden. Die Liste ließe sich seitenlang fortsetzen.

Es wäre ebenfalls müßig, die teilweise abenteuerliche Beweisführung zur terroristischen Natur der Muslimbrüder auf den Prüfstand zu stellen. Die damit argumentiert, dass Hassan al-Benna, Begründer der Muslimbrüder, den Standpunkt des Muftis von Jerusalem, Amin al-Husseini, zur jüdischen Besiedlung Palästinas teile. Die den politischen Pragmatismus der FJP nicht sehen will, die Mädchenbeschneidung, einen weit verbreiteten,  jahrtausendealten koptischen Brauch, wieder aus der Illegalität zu holen, obwohl die Muslimbrüder qua ihrer Selbstdefinition seit ihrem Bestehen mit ihrer Aufklärungsarbeit gegen die Mädchenbeschneidung gekämpft hatten.

Die überhaupt auf allen Augen blind ist, geht es darum, eine Gemeinsamkeit zwischen Muslimbrüdern und normalen Menschen zu erkennen.

Es ist sicherlich nicht Aufgabe der Ermittlungsbehörden, Entschuldigungen für ihre Ermittlungsobjekte zu suchen. Aber von den beratenden Gutachtern, selbst wenn es ein Heiko Heinisch ist, hätte man einen Funken Ehre erwarten können. Stattdessen liest sich das Begründungsdokument wie eine Auflistung aller Stigmata, die es im Zusammenhang mit Muslimen gibt.

Es werden keine Gemeinsamkeiten gesucht. Es wird das Andersartige, Fremde, Barbarische gesucht.

Demokratiefeindlichkeit; Kollaboration mit Nazis; Antisemitismus; Mädchenbeschneidung;
… und das Rabi’a Fingerzeichen.

Das Rabi’a Fingerzeichen stehe für den gewaltsamen Aufstand gegen die Ordnung, für muslimbrüderliche Propaganda. Mit Rabi’a gingen Tausende in den freiwilligen Tod für die vereinigten Staaten von Arabien.

Das Rabi’a-Zeichen will einen Gottesstaat errichten anstelle eines – ja was eigentlich?

Unter normalen Umständen würde ich an dieser Stelle auf die Doppelmoral zwischen den Zeilen und auf den latenten, nein offenen Rassismus, der aus diesem Dokument trieft, eingehen. Ich würde z.B. aus der Gesetzesvorlage aus dem November 2018 zitieren, das verschiedene politische Organisationen und deren Fingerzeichen verbietet:

„Die Muslimbruderschaft fördert aktiv ein Opfer-Narrativ der einseitigen Benachteiligung von Muslimen in der österreichischen Gesellschaft. Westliche Bruderschaftsorganisationen haben bewusst  anti-muslimische Vorfälle und Haltungen für ihre Zwecke überzeichnet, um somit eine Belagerungsmentalität innerhalb der jeweiligen lokalen
muslimischen Communities zu erzeugen, mit dem Argument, dass Regierungen und westliche Gesellschaften gegenüber den Muslimen und dem Islam im Allgemeinen feindlich eingestellt sind. Diese Dynamik ist insbesondere
im österreichischen Kontext in den vergangenen Jahren sichtbar geworden.“

Und würde weiter einwenden, dass jegliche politische Meinungsäußerung hiermit von vornhinein mundtot gemacht wird, weil dies als Zeichen einer radikalen Gesinnung verstanden werden würde. Dass jegliche politische Betätigung mit Bezug auf Islam von vorhinein kriminalisiert wird.

Das alles würde ich tun, würde den linken sowie den rechten Rassismus anprangern, würde für ein friedliches und freies Leben ohne intellektuelle und politische Bevormundung plädieren, würde aus dem Qur’an zitieren und sagen, „meine Gebete, meine Gottesdienste, mein Leben und mein Tod sind für Allah, den Herrn der Welten“ (Sure En’am,
162). Und hätte doch die Obsession mit dem Rabi’a-Zeichen nicht verstanden.

Ich hätte nicht verstanden, dass der Wolf kein sauberes Trinkwasser will.

Woher kommen die Vorwände?

Manchmal ist es in der Problemlösung notwendig, den Problemkontext zu erweitern, und plötzlich werden Zusammenhänge klar, die zuvor im Dunklen verborgen waren. Ohne einen Bezug zur kolonialen Politik – ich halte den Begriff des Postkolonialismus für eine Beschönigung – lässt sich die Politik des inneren Kolonialismus nicht erfassen.

Die Muslimbruderschaft ist nach dem Bankrott von arabischem Nationalismus und Sozialismus die einzige Massenbewegung in Ägypten, die sich gegen eine koloniale Bevormundung der arabisch-muslimischen Welt
richtet. Niemals hätte beispielsweise eine FJP-Regierung der EU 50.000 Quadratkilometer Seefläche abgetreten, indem sie Griechenland so weit entgegengekommen ist[ii], denn sie hätte im Interesse Ägyptens und
seines Volkes gehandelt. Da aber in Ägypten ein Diktator von Kolonialherren Gnaden regiert, sind diesem die Interessen seiner Herren und sein eigenes politisches Überleben wichtiger als der legitime Anteil, der Ägypten von Seerechts wegen zustünde. Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.

Es ist also kein Zufall, dass in Ägypten die Muslimbruderschaft 2013 verboten wurde und im Gleichtakt in verschiedenen europäischen Ländern angefangen wurde, zunächst mit Studien, dann mit Gesetzen, das
europäische Standbein muslimischen Widerstands zunächst legistisch, dann repressiv zu brechen. Und dass das Rabi’a-Zeichen, Zeichen des Widerstands gegen die Handlanger der Kolonialmächte, langsam aber sicher seinen absurden Platz in der langen Liste verbotener Handzeichen in Österreich erhält.

Es ist nicht möglich, gegen imperiale und koloniale Politik zu sein, und im Kontext der muslimischen Welt die einzig verbliebene, demokratische Massenbewegung zu dämonisieren.

[i] Bezug wird genommen auf Handlungen in Nahost

[ii] Der im August 2020 zwischen Ägypten und Griechenland deklarierte Seegrenzenverlauf legt – illegitimerweise – einer winzigen Insel einen so großen Wirkradius zugrunde, wie sonst nur für Festland und Inselstaaten üblich ist. Zusammen mit den zu groß angenommenen Radien anderer griechischer Inseln wird dadurch ein erheblicher Bereich im erdgasreichen östlichen Mittelmeer Griechenland zugeschlagen, der sonst zu Ägyptens Seezone gehören würde. Das Abkommen wurde in Ägypten nie öffentlich diskutiert.

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Antiimperialistische Koordination
aik@antiimperialista.org
www.antiimperialista.org/de
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Kommentare	»
  1. mit titel „salafisten sind ehrlicher als muslimbrüder“ gibt es in der kleinen zeitung vom 29.11.2020 ein doppelseitiges interview mit lorenzo vidino, der jahrelang die österreichische muslimbruderschaft erforscht hat. die quintessenz seiner aussage, die muslimbrüderschaft wäre deswegen so gefährlich, weil sich diese an rechtsstaatliche vorgaben halten würde. die bewegung bediene sich hiesiger demokratischer mittel. die aktivisten sind meist österreicher,die seit jahrzehnten hier leben, oder hier geboren wurden. es ist also eine österreichische bewegung…………..“die muslimbrüder zeigen sich im anzug mit krawatte und breitem lächeln. sie verwenden die richtige sprache der integration und demokratie und haben damit vertrauen aufgebaut in der regierung, bei den medien und in der zivilgesellschaft. allerdings verfolgen sie eine andere agenda.“

    wumm, die falschen hunde ! agieren wie jeder politiker, wie jeder manager, wie die medienleute, wie die vertreter der thinktanks, wie die gründer von privatuniversitäten, also wie die alltäglichen, gewöhnlichen terroristen. ist es nicht ?

    die obige analyse kann auch 1 zu 1 auf die pkk übertragen werden, die auch bei uns als terroristische organisation gilt. im kosovo hingegen konnte die uck zu einer staatstragenden partei mutieren.

    Trackback by kurt strohmaier 29. November 2020 16:58

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